Europa : DIALOG mit ...
Lotte Tobisch-Labotýn
„Die Europäische Union ist für mich die einzige Friedensgarantie für das durch Jahrhunderte an nationalen Interessenskriegen leidende Europa, und deren Ende immer wieder Not und Elend für die Bevölkerung bedeutete.“ (Lotte Tobisch-Labotýn)
Wortgewandt, nachdenklich. Souverän. Die Grande Dame des Wiener Opernballs geniesst es sichtlich, mit Benedikt Weingartner über die aktuelle Lage der Europäischen Union zu parlieren. Es geht nicht nur um Kunst und Kultur. Die bekannte Theaterschauspielerin erinnert an längst vergangene Tage, an Zeiten, die wir nie vergessen dürfen. Die Situation ist angespannt. Der Wohlstand hat zusehends Probleme verursacht, Solidarität mutiert zu einer ziemlich theoretischen Angelegenheit. Es hapert in der EU, so Tobisch, die eine gewisse Trostlosigkeit erkennen lässt und dabei melancholisch in den Zeiten einer Montanunion schwelgt.
Viel Hunger. Wenig Licht!
1945 gab`s nix zu essen, die Küche blieb kalt. Es gab auch wenig Licht, doch der Zusammenhalt der Menschen war legendär, die Hilfsbereitschaft ausgeprägt. Alle waren nett zueinander. Tobisch, die sich selbst als schwer erziehbar bezeichnet und die Kriegswirren mit einer böhmischen Hausmeisterin verbrachte, spricht von einer unersetzlichen Lehrzeit, welche dem Begriff Dankbarkeit enorme Tragweite bescherte. Es sind die kleinen Dinge des Alltags, die glücklich machen. Erbsensuppe ist nur ein Aspekt, Russen sind eben echte Glücksbringer. Immerhin, die erdrückenden Millionärssorgen sind der charmanten Künstlerin erspart geblieben.
Das Problem mit der Dankbarkeit
Immer dankbar sein ist anstrengend. Für die Jugend jedenfalls sind die Umstände kein Grund, sich darin zu üben, da diese von den Annehmlichkeiten des Lebens umgeben sind, vieles ist schlichtweg selbstverständlich. Ausserdem: Österreicher sind Raunzer. Und das geht auf ganz existenzielle Ängste zurück. Als Paradebeispiel muss Grillparzer herhalten, er fällt ihr gerade ein. Die Angst etwas zu verlieren ist ein österreichisches Phänomen, wir sind ein merkwürdiges Volk. Tobisch hat ihr erstes Clubbing vor 2 Jahren besucht, nur wegen dem Almdudler, soll heissen: Thomas Klein.
Small-Talk und Emanzen
Lotte Tobisch war in vielen Dingen eine Draufgängerin. Sie war bereits emanzipiert, als Emanzen noch nicht einmal konzipiert waren. Es gibt Dinge, die brauchen Mut. Zugegeben, Tobisch hat Glück gehabt, wie sie selbst zugibt, denn viele der Entscheidungen waren indiskutabel, alles hätte anders kommen können. An Österreich hat sie immer geglaubt, und an den guten Ausgang kritischer Momente. Auch die Russen sind gegangen. Sie hat es immer gewusst. Und als sie in jungen Jahren nach Berlin ging, um vorzusprechen, gab`s zuhause Ärger. Dann kam der Krieg. Und ALLES kam anders, als geplant und vorgesehen. Sie wollte doch nur ans Theater!
Traumjob „Opernball“
Gäb`s die Tobisch nicht, gäb`s den Opernball nicht. Zumindest nicht in der heutigen Form. Sie hat den Wiener Opernball geprägt wie keine andere. Als sie diesen in den 80igern übernommen hat gab es eine Sekretärin, ein PR-Dame und loses Zettelwerk. Heute ist es eine Maschinerie, der Opernball hat die Welt erobert. Dabei ist sie kein Gesellschaftsmensch. So Tobisch über Tobisch. Reden. Reden. Unsinn reden. Und dann herzhaft lachen. Sie hat viele bedeutende Menschen kennen gelernt. Und ist stets bescheiden geblieben. Gerade das macht sie so sympathisch. Sie ist eine exzellente Zuhörerin. Käme sie noch einmal auf die Welt, das Theater würde sie meiden. Aber in die Politik würde sie sofort gehen, das könnte sie geniessen. Au, jaaaaa!
Moralische Instanz gesucht
Experten gibt es viele. Sie sitzen und sie tagen. Auch goldene Zeiten haben Schattenseiten. Was heute fehlt, ist die moralische Instanz und etwas Mut. Diese Forderung ist immer häufiger zu vernehmen. Die EU gibt`s noch nicht sehr lange, Kinderkrankheiten sind an der Tagesordnung. Etwas mehr Selbstreflexion könnte nicht schaden, und was die Parteien betrifft: Ob Rot, Grün oder Schwarz ist ihr egal. Nur bitte nicht Blau. Dann ist die Welt für Lotte Tobisch in Ordnung. Das Leben ist wunderbar, auch wenn`s kracht im Gebälk. Partikuläre Interessen erschweren den Alltag, es gibt einfach zu viele Direktoren und Generäle. Die Heiratspolitik der Maria Theresia hatte was für sich, Kritik hingegen für die Hetze der Medien, die mit Headlines auf Leserjagd gehen. Auch für die Bildungspolitik findet die Salondame scharfe Worte, es geht um europäische Werte. Fragwürdigkeiten prägen die Geschichte Europas, etwas mehr Solidarität könnte nicht schaden. Der Rote Benya und der Schwarze Sallinger werden aufs Podest gehoben, die konnten miteinander, heute ist es eine Personalfrage. Doch wer räumt schon gern den eigenen Sessel? Was die Zukunft betrifft: Wenn ein Irrer auf den Knopf drückt wird`s eng, da landen wir im Urwald. Wie gesagt, Tobisch ginge im nächsten Leben gerne in die Politik. Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Text: Thomas Winkler Fotos: © Europa DIALOG / Moni Fellner
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