Europa : DIALOG mit ...Theodora Bauer
„Europa ist für mich ein work in progress. Europa ist kein Zustand, sondern ein gesellschaftliches Projekt, an dem es sich zu arbeiten lohnt.“ (T. Bauer)
Es war eine höchst spannende Lesereise in die Türkei, welche der sympathischen Schriftstellerin einen tiefen Einblick hinter die Kulissen gegeben hat. Und genau diese Impressionen nimmt der Shooting-Star der Literaturszene zum Vergleich einzelner und doch verbundener Kulturkreise ins Visier. Der schwungvolle Einstieg in die Gesprächsrunde mit Benedikt Weingartner bringt eine paradoxe Situation ans Licht. Andocken leicht gemacht im Westen versus nationale Egoismen, Europa wird vielfach mit ausgeprägter Selbstverständlichkeit erlebt. Reisen ohne Grenzen ist Alltag, die Künstlerin kann sich Grenzposten kaum vorstellen. Auch der Bezug zum Schilling hat gerade mal Erinnerungswert. Das Konzept der EU wird kaum kommuniziert. Bauer bringt es auf den Punkt. Der „European Dream“ ist in den Köpfen der Bürger noch lange nicht verankert, die EU hat sich nicht gut verkauft. Ob das an den latenten Turbulenzen und unzähligen Krisen rund ums Geld liegt?
Menschen brauchen Träume!
Es braucht Träume, um die Welt zu verändern. Ein Tag ganz ohne Visionen ist ein verlorener Tag, Ideen und Träume sind die Basis für die Zukunft. Eine Gesellschaft ohne Visionen ist demzufolge eine Gefahr für das System. Es gibt Dinge, die zumindest in der Gedankenwelt durchgespielt werden müssen. Benedikt Weingartner wäre auch gerne Papst geworden – und philosophiert mit Theodora Bauer über europäische Werte. Es braucht mannigfaltige Eindrücke, um einen weitreichenden Überblick zu bekommen. Auslandsstudien jedenfalls sind bestens geeignet, neue Denkansätze zu erleben. Es braucht einfach neue Impulse, um über die Perspektive der Gurkenkrümmung hinauszuwachsen. Facebook, Twitter und Co. wertet Bauer als zweischneidiges Schwert. Die Selfie-Generation jedenfalls steht vor einer ideologischen Zerreissprobe: Sharing oder Privatsphäre werden zur Grundsatzentscheidung, das virtuelle Flat-Earth-Syndrom greift gnadenlos um sich.
Social Media: Gefahr oder Chance?
Social Media liegt in den Händen der Konzerne. Silicon Valley weiss Bescheid, über Alles und Jeden. Es braucht gesunden Narzissmus und mündige Bürger um das gebotene Selbstbewusstsein zu entwickeln. Ideen und Kreativität müssen verstärkt eingefordert werden, um Innovation zu erreichen. Social Media nur zu verteufeln wäre falsch, es als Mittel zu Zweck zu nutzen bietet enorme Chancen um die Idee Europa in die Welt zu transportieren. Klischees bestimmen die Welt: Während sich die Türkei am osmanischen Reich orientiert, bedient Putin das Zarenreich. Der rechtsradikale Flügel jedenfalls träumt von Macht und Stärke. Europa kann nur über positive Visionen und Ideen kommuniziert werden. Von echter Solidarität sind wir weit entfernt.
Erziehungsspiele am Binnenmarkt
Das Problem Griechenland bleibt nicht ungeschoren. Es wirkt wie die Disziplinierung eines bösen Kindes, doch was ist das für ein Binnenmarkt? Autorität statt Augenhöhe als universelle Lösung zu sehen wird die Probleme nicht lösen, es fehlt an grundlegenden Konzepten für nicht minder grundlegende Reformen, wir sind noch lange nicht angekommen. Der Wunsch nach Think-Tanks ist nicht zu überhören, komplexe Mind-Sets mit enormen Differenzen prägen das Szenario. Weingartner hofft auf Eliten, um neue Visionen zu schaffen. Wir treten auf der Stelle. Mit Sanktionen alleine kommen wir nicht weiter.
Vorbilder gesucht
Das Problem der Vorbilder von heute sind die vielen negativen Komponenten. Idole gibt`s genug, doch nicht alle taugen was. Namhafte Persönlichkeiten der Geschichte buhlen mit Youtube-Stars um die Gunst der breiten Masse. Der Begriff Vorbild sollte neu definiert werden. Imitationen lassen eigene Werte vermissen, doch welchen Entwürfen lohnt es sich zu folgen? Einmal mehr wird die Geschichte bemüht, es braucht sichtlich Abstand. Evolution braucht Innovation, mit Remakes und Wiederholungen drehen wir uns mit berauschender Geschwindigkeit im Kreis. Europa braucht keine Lemminge.
Europa: Die Summe der Werte
Identität bezeichnet Bauer als etwas, hinter dem man steht. Es geht um eine klare Positionierung. Die Vielfalt der Werte ergibt Europa, doch derzeit ist eine gewisse Statik erkennbar. Es braucht Toleranz und Visionen. Versprechen liefern Hoffnung, doch auch diese will erkennbar sein, die aktuelle Lage jedenfalls ist nur schwer zu kommunizieren, es gibt zu viele Hürden. Die Ökonomisierung der Bildung wird gerne falsch verstanden, nicht alle Themen sind relevant. Erasmus als Riesenchance bringt Bewegung ins Spiel, der Europafrust muss überwunden werden. Die gemeinsame Geschichte und kollektive Traumata wirken wie schwarze Wolken und lasten wie ein schweres Karma auf der europäischen Seele. Es gibt Teile in der Geschichte, die erst geschrieben werden müssen. Europa will gelebt werden!
Text & Fotos: © Thomas Winkler
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