Europa : DIALOG mit …Eugen Freund
Moderation: Benedikt Weingartner
ORF-Urgestein. 2015 – 2019 MEP. Eugen Freund braucht man nicht vorstellen. Den kennt man einfach. Dennoch, er wird in seiner Tätigkeit immer wieder mit Raimund Löw verwechselt. Einer schreibt ein Buch. Dem Anderen gratulieren die Menschen auf der Strasse. Im Taxi. Oder sonst wo. Um klarzustellen: Wir haben den echten Freund vor uns. Das Original. Ja, er schreibt Bücher, gelegentlich. Heute plaudert er aus dem Nähkästchen und bringt er uns seine Sicht der Dinge näher. Europa ist komplex. Umso lohnender ist der Blick hinter die Kulissen, um neue Aspekte und Perspektiven zu entdecken.
Brüssel intensiv und 750 Abgeordnete
Eugen Freunds Zeit in Brüssel war intensiv. Es braucht über 2 Jahre um Geschehnisse und Zusammenhänge richtig zu begreifen, die wichtigen Menschen und deren Funktionen kennen zu lernen und um überhaupt mitmischen zu können. Entsprechend bleiben gerade mal gut 2 weitere Jahre, um richtig arbeiten zu können, erklärt Eugen Freund. Das wiederum erklärt, weshalb gerade langjährige Insider gefragt sind. Einmal Brüssel, immer Brüssel? Ja, das macht Sinn, denn nur Insider haben ihr eingespieltes Netzwerk und die erforderlichen Kontakte, um schnell mal was in Bewegung zu setzen. Und auch das dauert, bis es den Apparatus durchlaufen hat. So gesehen macht es durchaus Sinn, bewährte und etablierte Köpfe in Brüssel um diese letztlich auch dort zu lassen, so lange es geht. Das spart Ressourcen und steigert die Effizienz.
Die Stimme der Bürger
Die PR-Arbeit hinkt. Brüssel verkauft sich schlecht. Brüssel kommt nicht an. Brüssel kann nur so stark sein, wie man es lässt. So Freund. OK, hier setzen wir gleich mal an. Wenn die Mitgliedstaaten, die ja im Rat vertreten sind, schräge Abstimmungen liefern und zuhause mit gespaltener Zunge berichten, wie böse die in Brüssel sind, ist schlechte Stimmung vorprogrammiert. Richtig, es fehlt an Solidarität. Der Brüssel-Flieger mit „Brainwashing-Effekt“ zur ideologischen Gehirnwäsche bei den Regenten tut sein Übriges. Zuhause ist alles ganz anders. Kennen wir. Wir sind Payer, nicht Player. Eugen Freund lacht. Wir zahlen, haben aber wenig zu sagen. Was nicht zuletzt am reichlich blöden Regierungssturz vor einigen Monaten liegt. Die Sache mit Ibiza war auch denkbar ungeeignet, um unsere Glaubwürdigkeit zu stärken. Entschlossenes Auftreten ist eine feine Sache, nur braucht`s einen gesunden Menschenverstand und einen Hauch von Seriosität.
Brüssel war Zufall
Für Eugen Freund war Brüssel reiner Zufall. Seit 1972 war er im ORF mit Politik beschäftigt. Und plötzlich der Anruf, ob er vielleicht nicht etwas nach Brüssel wolle. Pardauz. In der Familie wurde abgestimmt, und so hat er kandidiert. Zugegeben, der Wahlkampf war eine Katastrophe für sich. Zumindest hat Eugen Freund dieses empfunden. Man wird behandelt als könnte man die Welt aus den Angeln heben. Doch in der Realität kommt man schnell drauf, dass alles ganz anders ist. Es war Ehre und Bürde zugleich, hatte er doch zumeist mit Innenpolitik zu tun. Obwohl er anfangs kein Parteimitglied war wurde er von der SPÖ gut behandelt. Ganz ohne Coaching hatte er bereits am zweiten Tag ein Interview mit dem Profil. Gut, dass er als Journalist bereits reichlich Erfahrung hatte, wenn auch aus einer anderen Perspektive. Im Nachhinein empfindet er den Wahnsinn als höchst unprofessionell, heute würde er einiges anders machen. Zudem, er wollte rein inhaltlich arbeiten.
Gute Vorsätze und viel Hektik
Die langjährige ORF-Erfahrung ist in Brüssel ein riesen Vorteil. Was Eugen Freund kann wie kaum ein anderer: Die Sprechzeit ist sein Verbündeter. Er ist es gewohnt, die Message in rund 60 Sekunden rüber zu bringen! Doch sonst berichtet er von reichlich Papierkrieg: Zwei Wochen Angelobung mit administrativen Gepflogenheiten. Dazu die Begegnung mit Nigel Farage, der seinen Missmut gegen Österreich demonstrativ, ganz wie ein kleiner hitziger Trotzkopf, zur Schau gestellt hat. Freund hatte ein Büro in Brüssel und einen kleinen Stab, alles hat sich gut ergeben, es war alles, nur nicht langweilig. Als problematisch empfindet er heute die parallel verlaufenden Sitzungen, da braucht`s mitunter einen Klon, oder eben zumindest eine kompetente Vertretung. Medienerfahrungen welcher Art auch immer sind ein enormer Vorteil, um hier bestehen zu können.
Viele Krisenherde rundum
Syrien. Irak. Ukraine. Die Entwicklung Europas ist geprägt von ausenpolitischen Krisen und Eskalationen. Die EU ist ein komplexes Konstrukt, doch Freund gibt sich recht optimistisch, was deren Zukunft betrifft. Während er Juncker als recht lustig empfand, findet der Ursula von der Leyen ein klein wenig Oberlehrerhaft. Sagt einer, der bei den von der Leyens nach Lust und Laune ein- und ausgegangen ist fast wie ein Familienmitglied. Eigentlich geht`s uns heute gut in Europa, überhaupt seit dem Fall der Berliner Mauer. Freund hat versucht, auf Youtube und Twitter die Leute zu erreichen, 16 Tausend Followers sind nicht unbedingt wenig. Die Informationen aus Brüssel sind jedoch eine Holschuld, ein bisserl muss man da schon selber aktiv werden.
Inside Brüssel: Minderheitenprogramm!
Der Sendeplatz entscheidet. Alleine die Tatsache, dass die Sendung auf ORF 3 positioniert wurde, macht es zum Minderheitenprogramm für Eingeweihte. Was die Vorgänge im Parlament betrifft, so wäre mehr Kontinuität angebracht, um die gewünschte Breitenwirkung zu erzielen. Kritik wird laut, von jemand, der sich damit wirklich auskennt. Einer Hand voll brisanter Themen steht reichlich Polemik gegenüber, so wird das nichts. Und die Hearings der Abgeordneten, wenn diese zuhause sind, verdienen bestenfalls Kritik. Überhaupt, die Kommunikation scheint recht unglücklich zu verlaufen. Alle wollen dabei sein, keiner kennt sich aus. Warum Europa-Abgeordnete zuhause angefeindet werden: Eugen Freund kann es nicht verstehen.
Brüssel ist schuld!
Vorab: Diesen Text können wir schon nicht mehr hören. Nochmals: Im Rat wird abgestimmt. Da können sich die verantwortlichen Köpfe zuhause nicht mehr abputzen, sie waren selbst dabei. Und haben selbst abgestimmt! Was es braucht, so Eugen Freund, ist eine breite Bewusstseinsbildung bereits an unseren Schulen, um das Projekt Europa der jungen Generation näher zu bringen und die dadurch verbunden Chancen und Perspektiven gut verständlich und beizeiten zu erörtern. Lehrer und Schüler sind gute Multiplikatoren, zumal: Den „Brainwashing-Effekt“ des Lumpensammlers kann man damit merklich mildern, wir lassen uns kein X für ein U vormachen. Überhaupt: Das mit dem Proporz hat ausgedient, es geht um Zuständigkeiten und Kompetenzen. Best Practice lautet das Zauberwort, verzetteln hat eine lange Tradition.
Weg mit der Einstimmigkeit!
Wenn`s die Mehrheit will ist es gut. Das Mehrheitsprinzip generell ist eine feine Sache, es schafft den Zustand breiter Zustimmung. Anders bei der Einstimmigkeit: Legt sich einer quer war es das. Da haben wir dann Blockierer und Stillstand. Wollen wir das wirklich? Da bleiben Innovation und Evolution auf der Strecke, wir vergeben Chancen ohne Ende. Die Kritik fällt deutlich aus, es ist an der Zeit, dass verkrustete Strukturen aufbrechen, in Brüssel wie zuhause. Überhaupt. Europapolitik ist Innenpolitik. Die Aussenpolitik steht nach wie vor unter Beschuss. Alleine was wir für die Kärntner Bank verbraten haben, darum hätte man in weiten Regionen Afrikas eine tragfähige Trinkwasserversorgung errichten können, das hätte auch nicht mehr gekostet. Zumindest wäre es nachhaltig gewesen!
Sozialdemokratie in der Krise!
Die Wahlen bestätigen es quer durch Europa. Nachhaltigkeit sieht anders aus. Aktuell geht es darum zu erkennen, dass die Menschen nicht mehr am Hochofen stehen, die Jobs sehen anders aus. Es braucht Bildung und Qualifikation, das sollte sich endlich rumsprechen. Der Mensch steht im Mittelpunkt, so die klare Message. Entsprechend ist zu agieren, sonst landen wir in der Sackgasse. Eugen Freund gibt die Hoffnung auf Humanität und Solidarität nicht auf. Europa braucht Geduld. Text & Fotos: Thomas Winkler |