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Martin Selmayr - 2

 

Europa : DIALOG mit …

Martin Selmayr

 

Moderation: Benedikt Weingartner


COVID19 – Edition

 

Erschütternde Zahlen aus Italien, Spanien und Frankreich. COID19 hat Europa erfasst. Der Dialog findet ohne Publikum statt, mit angemessenem Sicherheitsabstand. Rund einen Monat ist es her, dass Martin Selmayr und Benedikt Weingartner über aktuelle Geschehnisse plauderten. Niemand ahnte, was auf uns zukommen sollte.

 

Machtzentrale Home-Office

 

Die Mitarbeiter der Kommission sind flexibel. Home-Office ist angesagt, es lebe die Digitalisierung. Österreich ist seit 4 Wochen im Ausnahmezustand. Erste Vorwürfe gegen die EU wurden laut. Doch Gesundheit ist Sache der einzelnen Mitgliedstaaten. So weit reichen die Kompetenzen von Brüssel nun auch wieder nicht. Rückblick: Ähnlich brisant war nur die spanische Grippe. Die Opferzahlen waren horrend, heute haben wir reelle Chancen, um beizeiten gegenzusteuern. Vorausgesetzt, wir hören die Warnsignale. Es war der 9. Jänner 2020, als die WHO und ECDC (Europäisches Zentrum für Prävention und die Kontrolle von Krankheiten) stutzig wurden und zu Vorsicht mahnten. Just in dieser Zeit gab es in Europa den ersten Toten. Nur: Niemand nahm die Warnung ernst. Weder Regierungs- oder Staatschefs noch sonst wer. Die Signale blieben unbeachtet. Halb so wild, so schien es.

 

Tote in Italien. Halligalli in Ischgl. Und jetzt?

 

Bereits bei der Epidemie in China hätten Verantwortliche hellhörig werden müssen. Theoretisch jedenfalls. Dann der Frühwarnmechanismus wie erwähnt. Die EU hat gehandelt, im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten. Schuldzuweisungen: Fehlanzeige. M. Selmayr erinnert an SARS. Der 168er. Erinnern wir uns an die Idee mit den Löschflugzeugen unter J.C. Juncker. Abgeblitzt ist er bei den Mitgliedern. Die EU ist ein gefesselter Riese. Wenn die Mitglieder bocken, geht nichts. Fazit: Was zählt sind konstruktive Ideen und Elemente, Taten und Lösungen.

 

Schutzanzüge? Fehlanzeige!  

 

18.500 Opfer waren nicht genug Anreiz für Schutzanzüge. Österreich hat blockiert und erst als 21. Staat mitgezogen. Heute kämpfen wir um banale Gesichtsmasken, die eben mal unsere Gewissen beruhigen. Ende Feber ist die Kommission in Aktion getreten, energisch. Sprechen wir jetzt nicht von Bevormundung, sondern nennen wir es einfach Krisenmodus. Und der hat eben erst angefangen. Es wird ein weiter Weg. Der Reibungsverlust macht es nicht einfacher, obwohl die EU ein starkes Wesen ist. Selmayr seufzt. Es könnte viel einfacher sein. Die 2. Phase wird sicher besser. Die Turbulenzen in Deutschland sorgen für Verwunderung. Was ist dort nur los? Wo bleibt die Einigkeit?

 

Warenverkehr gesichert. Aber Kontrollen!

 

Stehende Trucks an den Grenzen und der Disput um Schutzkleidung und Masken haben einen Ordnungsruf aus Brüssel verursacht. In Deutschland 200.000 Schutzmasken pfutsch, so geht`s nicht. Mittlerweile zeichnet sich Solidarität ab. Die Engpässe nähren kriminellen Boden, Abzocke rundum. Doch wie es scheint beruhigt sich die Lage, DIY ist angesagt. Not macht erfinderisch. So sollte es doch möglich sein. Verfügbare Notfallbetten mit Patienten aus Krisenregionen zu belegen, das ist durchaus machbar. Überhaupt, so Selmayr, ist gegenseitige Hilfe angesichts der Umstände mehr als nur angebracht. Alle machen Fehler, auch in Brasilien oder über dem Teich, doch eins haben wir alle gemeinsam: COVID19. Und das ist hartnäckig!


Grundeinstellung überdenken?

 

Die Umstände sind geeignet, neue Formen und Dimensionen der Zusammenarbeit zu entwickeln. Die Grundeinstellung kann etwas Flexibilität durchaus vertragen. Dabei spricht M. Selmayr drei wichtige Fronten an: Alle Mittel müssen dorthin, wo diese dringend gebraucht werden. Ärzte, Masken, Notfallbetten, Beatmungsgeräte. Keiner soll sich zu früh freuen, wenn der Spuk vorbei ist. Dann der finanzielle Aspekt der Pandemie. Es geht um Jobs und Existenzen. Niemand ist schuld an den Ereignissen, es geht um den grössten Einbruch der Wirtschaft, den wir jetzt erleben. Dann braucht es einen Ausgehsparplan. Oktoberfest in München spielt`s sicher nicht, wenn in Salzburg alles leer bleibt. Es braucht Koordination. Die Kontrollen an den Grenzen bleiben. Das Problemkind ist Afrika, die 4. Front in Selmayrs Plan. Social Distancing geht kaum, Trinkwasser nur vereinzelt. Es sind 10 Mio. Tote denkbar, da hilft nur internationale Hilfe. So Selmayr.

 

Money makes the world go round …

 

Europa geht auf Abfangkurs, ein Marshall-Plan steht im Raum. Es geht um die Stabilisierung des Euro. Die EZB ist ein kompetenter Partner. Brüssel hat die Schleusen geöffnet, in Rekordzeit. Es geht um die Stabilisierung der schwachen Regionen. Der EWF mit 410 Mrd. Kreditvolumen ist nur eine Säule und sofort verfügbar. Säule Drei betrifft Budget-Reserven. Brüssel war sparsam, auch dieser Topf gibt was ab. Mit dem 123 Abs. 2 sind weitere Ressourcen verfügbar, es müssen Jobs sprich Perspektiven bewahrt werden. Es wird Geld geben, das steht fest, die Krise darf jedoch nicht als Mittel zum Zweck verstanden werden. Kurzum: Brüssel fordert finanzielle Solidarität. Es wird jedoch was anderes als Euro-Bonds, die zuletzt gefordert wurden. Es zählt jedes Instrument, jedes einzelne Tool wird gefordert. Nicht zuletzt geht es auch um einen gemeinsamen Haushalt. Das ist eine enorme Herausforderung, bei der die europäische Investitionsbank integriert werden könnte, oder eben überhaupt einen Corona-Topf. Seit COVID ist eben alles anders. Es braucht einen standfesten und zugleich flexiblen Rahmen, eine Euro-Budget-Linie, wie dies bereits J.C. Juncker angedacht hatte.

 

Budget-Mix als Ausweg

 

Wir brauchen Jobs und Effizienz. Das braucht eine gute Vernetzung und standfestes Controlling. Pflegekräfte aus Rumänien für Österreich stehen im Kreuzfeuer. Warum gibt es zu wenig Pflegekräfte im Land? Geht das gar auf ein Versäumnis zurück, schiesst es uns gleich in Gewissen. Erasmus ist eine Aufstockung wert, der Green Deal ist ausgemachte Sache, auch wenn es jetzt um Gesundheit geht. Die Digitalisierung erlebt eine neue Blüte, die Digitale Agenda bleibt weiterhin aktuell. Die geopolitische Vernetzung ist ein weiterer Schritt, auch wenn das nicht einfach ist. China hat geholfen, es wird geholfen. Das Thema ist global, die Pandemie kennt keine Grenzen.

 

Lob für die öffentlich-rechtlichen Sender

 

Fake-News und Bashing boomen, Social-Media ist brisanter denn je. Zeit haben die Leute ja meist genug, und da geht`s schon mal rund. Kritik auch für das Buch mit den vielen Gesichtern, die Schattenseiten der Digitalisierung erleben wir jeden Tag aufs Neue. Auch mit Russland ist es so eine Sache, wie überhaupt der Osten für reichlich Unwohlsein garantiert: Orban hat ein sehr seltsames Verständnis für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, wie auch Polen. Überhaupt: Gelder müssen an Bedingungen geknüpft werden, anders geht es nicht. Brüssel ist kein Selbstbedienungsladen.

Vielleicht noch eine sehr aktuelle Überlegung: Die Kommission kann Verfahren einleiten und mahnen, braucht aber Unterstützung der Mitgliedstaaten, um Rechtsstaatlichkeit durchzusetzen. Brüssel ist wie eine Festung mit dicke Mauern. Europa ist ein sicheres zuhause. Aber jeder muss mitziehen. Nationalismen haben ausgedient. Euro-Bashing ist fatal. Mit COVID19 haben wir eine gemeinsame Herausforderung.

 

Text: Thomas Winkler