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Martin Stricker

 

 

Europa : DIALOG mit …

Martin Stricker

 

… moderiert von Benedikt Weingartner

 

Martin Stricker und Benedikt Weingartner in Europa : DIALOG im Haus der EU, Wien

 

Mit dem Green Deal für Europa startet Ursula von der Leyen das wohl ambitionierteste Programm seit dem Mann am Mond. Ein ganzer Kontinent soll frei von Emissionen werden. CO2 war gestern. So die aus heutiger Sicht noch recht schwer vorstellbare Vision. Dazu braucht es die komplette Dekarbonisierung. Fossile Brennstoffe in welcher Form auch immer sind tabu. Alles wird anders. Mobilität. Energie. Heizen. Verkehr. Dazu ein komplett umgekrempeltes Wirtschaftssystem mit neuen Wertschöpfungsketten. Die Europäische Union beabsichtigt, die Vorreiterrolle in der Energiewende einzunehmen. Martin Stricker, Klimaspezialist der Salzburger Nachrichten, erörtert gemeinsam mit Benedikt Weingartner die aktuellen Trends und Entwicklungen.

 

Martin Stricker

 

Emissionen ohne Ende

 

Der Klimavertrag Paris 2015 war voller guter Absichten. Das Ergebnis jedoch wirkt reichlich flau, viel heisse Luft wurde durch die Lande geblasen, die Emissionen steigen munter an. Vielleicht sollten wir die Warnungen der Wissenschaft ernst nehmen, denn so kann`s auf Dauer nicht weiter gehen. Das ist allen klar. Ursula von der Leyen hat den Green Deal für Europa im rechten Moment aus dem Hut gezaubert, im Wissen, dass sie die Stimmen der Grünen in Zukunft brauchen wird. Der geniale Schachzug war, diesen erst dem Europäischen Parlament zu präsentieren. Die Regierungen kamen erst danach an die Reihe. Das war ziemlich clever.

 

Martin Stricker

 

Dicke Luft am Kontinent

 

Irgendwann ist weisser Rauch aufgestiegen. Kaum zu glauben, doch die Fürsten haben eine Einigung gefunden. Bis 2050 soll der Kontinent freu von Emissionen sein. Die Frage wie das gehen soll bleibt unbeantwortet, vorerst. Da ist ja noch Zeit. Polen, Tschechien und Ungarn haben es sichtlich nicht eilig, auch aus taktischen Gründen. Der Osten will unser Geld, ist einfach so. 80% Strom aus Kohle in Polen sagt eigentlich alles, dieser Cut ist teuer und im Alleingang kaum zu schaffen. Entsprechende Zurückhaltung macht sich bemerkbar. Der MFR könnte Bewegung in die recht statische Angelegenheit bringen: Es geht um 1000 Mrd. Euro, die in den kommenden 7 Jahren verteilt werden müssen. Das Motto Kohle für Kohle gewinnt auch für die anderen Mitgliedstaaten an Klarheit. Verprechungen alleine sind jedenfalls zu wenig.

 

Martin Stricker

 

Osten: Von wegen Öko-Strom

 

Strom kommt aus der Steckdose. OK, so weit, so gut. Im Osten stammt er aus Kohlekochern oder überhaupt aus emissionsfreier Kernkraft. Damit müssen wir uns vorerst abfinden. Natülich könnten wir den Kaffee auch über dem Lagerfeuer kochen, doch das wollen wir nicht. Der Osten treibt Kuhhandel. Merkel zahlt deutsches Steuergeld für Strom aus Kernkraft, zuhause werden eben mal die Altmeiler entsorgt. Die Forschung mit der Kernspaltung sollten wir beibehalten, um vielleicht irgendwann das grosse Aha-Erlebnis zu haben. Das Durchschnittsalter der Reaktoren liegt bei gut 30 Jahren, oft sind es mehr. Über 400 Kraftwerke weltweit verdeutlichen die Lage: 10 Jahre Bauzeit plus ein dauerhaftes Risiko: Wollen wir das? Frankreich kommt ohne Laufzeitverlängerung kaum weiter, überhaupt, die Kernspalterei ist wenig nachhaltig. Nur emisionsfrei ist eben auch zu wenig!

 

Martin Stricker

 

Wirtschaftssystem im Wandel

 

In Österreich kommen 60% der Energie aus Wasserkraft. Was den weiteren Ausbau betrifft: Die Ende der Fahnenstange ist in Sicht, viel geht nicht mehr. Wer auf fossile Investitionen setzt hat jetzt schon verloren, so scheint es. Der neue Trend heisst Carbonfrei. Der Verzicht auf kurzfristige Profite schafft auch Verlierer. Manche Branchen kommen massiv unter Druck oder werden eliminiert. Beispiel Kodak. Zement, Alu, Stahl: Diese Branchen brauchen reichlich Strom. Ohne Alternative wird`s eng, und das wieder kostet Arbeitsplätze. Stahlkochen ohne Strom geht einfach nicht. Heute kann sich niemand vorstellen, wie die Alternativen aussehen könnten.

 

Martin Stricker

 

Mobilität: Fortschritt ernüchternd!

 

Der neue Trend E-Mobilität ist ein Kapitel für sich. Die Verkaufszahlen hinken hinter den Erwartungen, die E-Fahrzeuge selbst sorgen für negative Schlagzeilen. Von den Akkus reden wir erst gar nicht, das mit der Entsorgung ist noch lange nicht geklärt. Eingraben gilt nicht. Bis 2050 soll alles anders werden. Sagen die Staatschefs. Unisono. Im März wäre ein erster Gesetzesentwurf denkbar. Herbst 2020 könnte der MFR stehen. Es wird noch viel Zeit vergehen, bis Bewegung erkennbar ist. Vorläufig müssen wir uns mit den ersten, vorerst noch sehr diffusen gesetzlichen Visionen zufrieden geben. Doch Martin Stricker ist ein positiver Mensch. Das Problem am Rande sind rund 20 Tausends Jobs nur in Deutschland, die durch die Klimawende verloren gehen. 

 

Stricker - Weingartner

 

Fridays4future: Ziemlich ungeduldig!

 

Martin Stricker findet lobende Worte für die professionelle Pressearbeit der F4f-Bewegung. Die Politik könnte sich davon was abschneiden, wenn da nicht die eklatante Ungeduld wäre. Die Wissenschaft spielt mit, die Argumente sind bestens fundiert und recherchiert, da gibt es nix zu meckern. Entsprechend ernüchternd ist die Bilanz von Madrid, die EU steht ziemlich alleine da. Die Hoffnung, so Stricker, liegt in der UN-Klimakonferenz in Glasgow, es braucht Investoren, Ideen und neue Ansätze, die es zu realisieren gilt.

 

Nachholende Verschmutzung …

 

China. Indien. Afrika. In manchen Regionen war die Zeit stehen geblieben. Jetzt wird aufgeholt. Gegen die Argumentation der nachholenden Verschmutzung ist wenig einzuwenden, meint Stricker, die Schwellenländer sind am aufsteigenden Ast. Auf der anderen Seite brennt der Regenwald. Brandrodungen drücken aufs Gemüt, dazu die Buschfeuer in Australien. Und der Vulkan. Unterm Strich schafft es die EU, bis zu 10% der globalen Emissionen zu vermeiden, wenn alles so umgesetzt wird, wie vorgesehen.  

 

Martin Stricker und Benedikt Weingartner

 

Jagd auf Emissionssünder

 

Zertifikate und neue Gesetzte sollen Emissionen eindämmen. Das Problem liegt an höchst unterschiedlichen Ansätzen der Berechnung. Hier am Kontinent werden Zertifikate ausgegeben, mit denen frei gehandelt werden kann. Der Preis pro Tonne CO2 ist vernachlässigbar gering, heute zumindest. Doch das dürfte sich recht bald ändern. Es braucht jedoch eine weitreichende Harmonisierung, zudem die Überlegung, inwieweit Heizen, Verkehr, Wohnen und Flugverkehr integriert werden soll. Auch die Seefahrt wird einen Beitrag leisten müssen, alles andere wäre schräg. Unterm Strich sieht das bereits im Vorfeld nach Differenzen aus, die wir wohl erst klären müssen, bevor es zur Sache gehen kann. In Verbindung mit den innenpolitischen Spannungen der Staaten kann das höchst spannend werden: Italien, Spanien und Frankreich haben Turbulenzen, Deutschland verharrt wochenlang im Sekundenschlaf und die „Neue Hanse“ ist noch grün um die Nase. Soll heissen: Es dauert wohl noch, bis ein tragfähiges Framework steht, von Harmonisierung sind wir meilenweit entfernt.

Neue Rahmenbedingungen eröffnen neue Perspektiven für neue Geschäftsmodelle. Alle müssen ran, ohne Ausnahme. Die bereits angesprochenen 10% Ersparnis an globalen Emissionen, die Europa in die Waagschale wirft, sind wenig ermutigend. Klartext: Die Welt wird irgendjemand anderer retten müssen. Wo bleibt unser ausserirdischer Freund?  

 

Fotos: Europa : DIALOG / Daniel Mikkelsen

Text: Thomas Winkler