skip to content

Oliver Grimm

 

 

Europa : DIALOG mit …

Oliver Grimm

 

Moderation: Benedikt Weingartner

 

„Europa ist für mich ein alternativloses Scheitern am eigenen Anspruch“. (O. Grimm)

 

Oliver Grimm und Benedikt Weingartner

 

Die EU ist seit dem 2. Weltkrieg die beste Antwort auf die Herausforderungen und Abgründe im 20. Jahrhundert. Mit diesem sehr prägnanten Opening steigt der Brüssel-Korrespondent Oliver Grimm in den spannenden Dialog rund um Europa. Die EU ist ein historischer Erfolg und alternativlos die beste Variante für Friede, Wohlstand und Gleichberechtigung. Prägnant ist das permanente Scheitern. Es knistert und kracht und ist oft wenig erquicklich, so Grimm. Zerknittert. Die Krisen sind eben nicht zu übersehen.

 


Letzte Chance für das Friedensprojekt

 

Jean-Claude Juncker hat Bilanz gezogen. Wirtschaft. Arbeitsmarkt. Migration. Um nur einige Punkte zu nennen. Wenn es nix wird dann Oje und Autsch. Vorab: Er hat gute Arbeit geleistet. Mehr ging nicht, mehr war einfach nicht drin. Unterm Strich: Die Kluft Bürger und EU hat ist gewachsen. Es fehlt an Grundvertrauen. Das ist auf der Strecke geblieben, angesichts der vielen Krisen, Miseren und Brandherde. Dazu kommt das Misstrauen der kleinen Staaten, die sich übergangen fühlen. Die Kommission als Hüterin der Verträge wird mit teils schrägen Blicken empfangen, da speziell beim Budget die grossen Staaten mehr Aufmerksamkeit erfahren. Und zu dem jungen, aufstrebenden Macron hatte Juncker irgendwie keinen guten Draht, die lahmende deutsche Kanzlerin sollte keine grosse Hilfe mehr sein. Gut hingegen die Effizienz. Weniger ist mehr. 911 Anhörungen in den nationalen Parlamenten sind nicht gerade wenig, für Bürgernähe reicht`s allemal. Man hat sich eben aufs Wesentliche beschränkt, 84% weniger Initiativen als Vorgänger Barroso bestätigen die sehr klare Linie. Weniger ist mehr.

 

 

Rundum widerspenstige Mitglieder  

 

Migrationskrise 2015. Dazu die Währungsunion ohne gemeinsames System der Einlagensicherung bei einem gemeinsamen Finanzmarkt. Getoppt wird das durch existentiell bedrohliche Angriffe auf die  Rechtsstaatlichkeit. Sagt Grimm. Die Rechtspflege lässt zu wünschen. Orban. Polen. Rumänien. Um nur einige zu nennen. So wird das nichts mit dem Europarecht. Das Artikel 7 Verfahren gegen Polen kam zu spät. Timmermans hat sich eingesetzt, vehement. Bei Ungarn hat die Kommission Druck gemacht. Gut. Die europäische Einigung hat politische Konflikte entschärft, Aggressionen und Emotionen werden entschärft. Dann die Migration. Wenn`s ums Geld geht hört sich die Freundschaft aus, die Finanzkrise, die eigentlich eine Bankenkrise war, hat Spuren hinterlassen. Jetzt haben wir den Brexit. Da kann der Juncker nix dafür.

 

 

Improvisationstalent gefragt

 

Um Probleme überschaubar und dabei den Ball flach zu halten ist Improvisation gefragt. Kein Staat schafft es, die Brandherde Migration, Umwelt und Klima alleine zu stemmen, da müssen alle ran. Nur muss man die Leute erst an einen Tisch bringen. Das hat Juncker sehr diplomatisch gelöst. Und wenn sich alle redlich bemühen …. Ja, dann wäre alles besser. So dieser. Nur das Signal mit dem vorläufigen Erweiterungsstopp war taktisch unklug, es war ein historischer Fehler. Doch auch andere Leute machen Fehler, die sich als historischer Humbug erweisen werden. Stichwort Cameron. Er hätte den Brexit verhindern können und müssen. Die Situation ist entglitten. Das Britenvolk war schon immer recht eigen und zugleich exzentrisch.

 

 

Wir lassen uns nicht „schnalzen“!

 

So, wie es die Briten wollen geht es nicht. Die Rosinenernte hat ein Ende. Irgendwann wir abgerechnet, das ist einfach so. Extrawurst ade. Wir haben uns ohnehin lange genug rupfen lassen. Mit Wohlstand und Beschäftigung sowie Investitionen ist Juncker wirklich gut gefahren, lediglich mit Donald Tusk ging`s nicht so glatt wie erhofft. Die Rivalität der beiden ist nicht zu vertuschen, trotzdem: Es ging durchwegs kultiviert und professionell ab. Mit Martin Schulz und Jean-Claude Juncker waren zwei ausgemachte rheinische Frohnaturen am Werk, die nach bewährter Best Practice Methode situationselastisch auf die Bedürfnisse reagieren wollten, doch es kam anders. Merkel grummelt und schweigt. Niemand hätten den Eklat gewollt. Juncker hatte leider nur reichlich wenig Rückendeckung, schade.

 

 

Ursula von der Leyen und die Spin-Doktoren

 

Nach einem sichtlich schwachen Take-Off der First Dame ist der Green Deal für Europa ein Tribut an die aufsteigenden Grünen, um die CO2-Debatte für sich zu nutzen. Der Flugverkehr gehört stärker in den Emissionshandel integriert als bisher, zudem sollen Verkehr und Bauwesen ebenfalls ihren Beitrag leisten, um die richtigen Signale zu setzen. Vielleicht wäre es einfacher die Staus zu minimieren, das könnte nämlich einige Tonnen an Emissionen vermeiden, doch soweit scheint niemand zu denken. Hauptsache es wird abgeräumt. Die ziemlich populistisch anmutenden Ambitionen kommen in geradezu blumigen Worten rüber, entsprechende Skepsis ist angebracht. Es braucht eine geeignete Lösung, auch für den Verkehr. Und diese ist nicht in Sicht. Natürlich, wir könnten auch flach atmen, um zu kompensieren was andernorts in die Luft gejagt wird.

 


Was soll es wirklich werden?

 

Fünf und ein Szenario beweisen, dass schlaue Leute am Werk sind. Welchen Weg wir gehen sollen, wissen wir nicht. Die Verantwortlichen nennen die Dinge nur selten beim Namen, daran haben wir uns gewöhnt. Es fällt schwer, die jeweiligen Konsequenzen aufzulisten, dazu braucht es ausgebuffte Spezialisten. Die haben wir aber nicht. Eine Vertragsänderung wäre eine Variante, aber zugleich ein mittleres Desaster. Die Büchse der Pandora wollen wir nicht öffnen. Soll heissen: Alles bleibt wie es ist. Wir wursteln weiter. So wie in den 50ern kann man nicht Politik machen, die Dinge haben sich geändert. Es ist wesentlich komplexer geworden. Da ein Ausschuss, dort eine Bürgerinitiative. Die Zivilgesellschaft ist erwacht.

 


Das Vertrauen ist weg!

 

Es braucht Seriosität und Vertrauen. Die Glaubwürdigkeit der Politik ist weg, und das hat seinen Grund. Beginnend bei den teils sehr unrühmlichen Ereignissen auf nationaler Ebene, werden diese naturgemäss nach Brüssel projiziert, mit fatalen Ergebnissen. Wenn ein Herr Gentiloni aus Italien die Finanzen in die Hand bekommt, ist Feuer am Dach. Dann braucht`s einen kühlen Kopf aus dem Norden, um dem frivolen Papagallo auf die Finger zu klopfen. Grimm lacht. Herzlich. Ohne Anstands-Wauwau ist hier kein Hof zu machen. Macht braucht eben Kontrolle. Ist einfach so.

 

 

„Master of Desaster“

 

Die Amis haben zur besseren Einschätzung der militärischen Aktionen Think-Tanks zur Risikoeinschätzung implementiert. Diese Szenario-Denker analysieren auf Teufel komm raus was alles schief gehen kann. Ähnlich sinnvoll wäre hier am Kontinent eine intellektuell-konstruktive Opposition, um den Verantwortlichen mögliche Konsequenzen des teils recht bunten Treibens zu erklären. Da die Dinge zudem sehr komplex sind und mehrdimensionales Denken erfordern, braucht es Spezialisten mit etwas mehr als Hausverstand, der nämlich wäre hoffnungslos überfordert.

Forschung und Innovationen versus Status Quo und Lobbyisten: Der Wildwuchs an EU-Agenturen lässt vermuten, dass viele Verantwortliche mit den strukturellen Gepflogenheiten mehr als überfordert sind, da diese Agenturen ganz ohne politische oder gar journalistische Kontrolle agieren. Etwas Verschlanken wäre angebracht. Die NATO braucht Verstärkung.

Kurzum: Wieviel Spielraum hat von der Leyen wirklich?

 

Fotos: Europa : DIALOG / Gabriel Alarcon

Text: Thomas Winkler