Europa : DIALOG mit …Veronika Fillitz
… moderiert von Benedikt Weingartner
Seit Mitte 2019 bereichert Veronika Fillitz als ORF-Korrespondentin das Dreier-Team in Brüssel. Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs hat ihren ersten Arbeitstag, der sich über ganze drei Tage erstreckt hat, geprägt. Erst die Sache mit den Spitzenkandidaten und den heftigen Querelen um Weber, der noch nie ein vergleichbares Amt oder einen Regierungsposten belegt hat. Ursula von der Leyen hat das Rennen gemacht. Sie wurde einfach aus dem Hut gezaubert, doch der Weg an die Spitze war steinig und voller Kämpfe und Kompromisse. Vernunft und Argumente haben gesiegt, der Green Deal für Europa sollte die neue Amtsperiode einer ebenfalls ziemlich neuen europäischen Kommission prägen.
Abklopfen. Hearings. Boshaftigkeiten!
Man hat sich nichts geschenkt. Die Mitglieder der neuen Kommission wurden mit höchster Sorgfalt selektiert. Natürlich war eine klare Taktik dahinter, und ein klein wenig Boshaftigkeit. Das Wort Kuhhandel lassen wir an dieser Stelle aus, es kam zu vielen Umschichtungen. Eloquenz war gefragt. Im Klartext: Ausführliche Worte zu schnöden Themen waren gefragt, schöne Worte mit wenig Inhalt kamen raus. So jedenfalls scheint es, glaubt man den Worten der ORF-Korrespondentin Veronika Fillitz. Hearing, Briefings und Abstimmungen brachten uns die neue Kommission mit neuen Zielen: Was ist neu und was hat sich nicht geändert?
Die Zeit dazwischen …
Unterschiedliche Teams für eine unterschiedliche Agenda. Kommen. Gehen. Dazwischen Meetings und viele Themenüberschneidungen. Das Europäische Parlament hat abgestimmt. Die neue Kommission steht. Die Briten haben einen „Nicht“-Kommissar und fast nichts mehr zu reden. Das machen jetzt andere Staaten. Viele Zugeständnisse bestimmen das Geschehen, Umschichtungen sollen einen Hauch von Gleichgewicht schaffen. Die parlamentarische Mehrheit hat sich merklich verlagert. Drei starke Super-Vize-Präsidenten sind jetzt im Spiel. Der Green Deal und Klimaschutz gehört Frans Timmermans. Digitales fällt in den Bereich von Margrethe Vestager, während Valdis Dombrovskis für Wirtschaft und Soziales vorgesehen ist.
MFR 2021-27: Kommissar Hahn im Dauereinsatz!
Kampferprobt, routiniert, entspannt. Kommissar Hahn hält das Budget zusammen. Das spannende an der Sache ist: Er vertritt die Europäische Kommission. Und sitzt damit auf der anderen des Verhandlungstisches, gegenüber der Regierung. Doch das sollte kein Problem sein, alle wollen schliesslich unser Bestes. Ohne Briten sollte das Beitrag fürs Budget geringer ausfallen. Sollte man meinen. Es geht um Prozentpunkte und Unsummen von Geld. Brüssel will mehr davon, um besser agieren zu können. Österreich will weniger zahlen, Brüssel soll weniger ausgeben. Brüssel selbst hat jedoch keine eigenen Einnahmen, sondern wird durch die Staaten und damit aus Steuergeld finanziert, um funktionieren zu können. Die Sache ist vertrackt. Wer zahlt bestimmt. Hahn hat kein leichtes Spiel.
Verstärkung für Österreich
In der Budgetfrage haben wir Verbündete. Deutschland vertritt eine ähnliche Position wie unsere Regierung, zumindest in diesem Punkt. Strittig hingegen ist das Thema Migration. Die Verteilung der Bootsflüchtigen ist heiss umkämpft, das Boot ist voll. Noch mehr Neubürger geht einfach nicht. Zumindest nicht, solange es mit der Integration nicht klappt. Und da ist einiges zu klären, die Unstimmigkeiten stimmen bereits nachdenklich. Horst Seehofer hat einen Sinneswandel durchlebt, die deutsche Regierung steckt in einer Krise. Wie geht es mit Grün jetzt weiter?
Brisant: Klimawandel und der Osten
Klimanotstand in Europa. Einmal mehr müssen wir wohl den Gürtel enger schnallen. Der Osten stemmt die Energiewende nicht alleine, da müssen alle ran. Das ist eben Europa. Einer kann nicht, andere zahlen. Es soll die Energiewende werden. Trotz der eigentlich minimalen Geldleistungen an Brüssel ist Solidarität erkennbar, es geht nämlich nur um Prozentpunkte. Die Summe macht`s. Das jedoch erfordert konsequentes Controlling, hier müssen die Staaten Federn lassen, es ist schliesslich nicht deren Geld. Das Wort Wertschöpfung und Wachstum ist dezent zu vernehmen, es könnte durchaus klarer kommen, angesichts vereinzelter Stimmen aus dem Hintergrund, die wieder mal nur die Kostenseite sehen. Ja, wir brauchen Innovation: Speichertechnik. Neue Energie, möglichst erneuerbar. Und, ja, das kostet eben. Von der Leyen denkt dabei an die Poleposition Europas. Da müssen wir uns jetzt mächtig ins Zeug legen! Von der Leyen wiederum wird Stehvermögen und Überzeugungskraft brauchen, um ihre Inhalte zu verklickern.
Klima, Jobs und Pfründe
Die Autoindustrie fürchtet um Jobs. Luftfahrtunternehmen zittern vor der CO2-Steuer. Alle sind nervös. Der Druck der Institutionen wird durch die leider bereits inflationäre Friday-Bewegung untermauert. Das Europäische Parlament unterstützt den Klimanotstand. Niemand soll im Stich gelassen werden, ist zu vernehmen. Wahrscheinlich wird`s ein lauwarmer Kompromiss, ein Kontinent kann nicht für alle gradstehen, das geht nicht. Dazu Innovation. Pflegeroboter könnten Hilfestellung leisten, es bleibt mehr Zeit für die menschliche Komponente. Ungläubige Gesichter allerorts. Juncker war ein erfahrener, wenn auch schrulliger Europäer. Von der Leyen hat 5 Jahre Zeit, die Weichen zu stellen. Sie wird es recht pragmatisch angehen. Wir wissen nicht, was uns am Weg in die Zukunft erwartet. Zuletzt gab es hinter jeder Ecke eine Überraschung. Und viele Krisen.
Ansatzpunkte. Wichtig!
Wir wissen: Europa ist krisengeschüttelt. Es gibt keine erkennbare Einigkeit bei Asylpolitik, Dublin neu ist ohne Zustimmung, der Osten hat bei diesem Thema höchst uneuropäische Ansichten. Dazu braucht`s endlich eine klare Aussenpolitik. Der West-Balkan braucht europäische Perspektiven, die jedoch an die Erfüllung gewisser Anforderungen gebunden sind. Der Diskussionsprozess über die Zukunft Europas geht weiter, es braucht rege Bürgerbeteiligung, es geht um unsere Zukunft. Freihandelsabkommen stehen am Prüfstand, es braucht ein gemeinsames, entschlossenes Vorgehen. Solidarität wäre stärker einzufordern, in allen Belangen. Wo Spanien antreibt, blockiert Österreich, und umgekehrt. Angesichts der voranschreitenden Globalisierung ist ein weitreichendes Umdenken erforderlich, höchst unterschiedliche Gesetze und Regulierungen erschweren die Sache.
Von der Leyen: Umfangreiche Agenda
Die Checkliste ist lang. Digitalisierung gewinnt an Bedeutung. Es wird wohl auch weiter Muskelspiele geben, mit dem üblichen Reibungsverlust. Das europäische Eisenbahnnetz sollte nicht ganz ad acta gelegt werden, der Nachtzug Wien – Brüssel ist zu wenig, der freut grad mal unseren Werner Kogler. Madrid als Erfolg zu bezeichnen ist übertrieben, da war entschieden zu viel heisse Luft im Spiel. Die Themen sind komplex, der Flugverkehr darf nicht steuerfrei davonkommen. Heisst es zumindest. Ideen haben ist zu wenig, es braucht eine konkrete Umsetzung und einen smarten Mix mit Übergangsfristen, sonst wird`s holprig. Dazu sollten wir uns die Sache mit der Einstimmigkeit nochmals durch den Kopf gehen lassen. Mit wir sind natürliche alle Mitgliedstaaten gemeint, es geht um unseren Standort. Transparenz ist eine feine Sache. Europa muss ein starker Player werden, die ersten Ansätze sind im Keim erkennbar, wie die strategisch ausgerichtete Kommission. Europa ist in 50 Jahren um ebenso so viele Jahre älter. Und reifer.
Fotos: Europa : DIALOG / Daniel Mikkelsen Text: Thomas Winkler |