Europa : DIALOG mit ...
Ben Segenreich
„Europa ist für mich Nostalgie, Kindheitsparadies, Komfort, Lebensqualität, Kultiviertheit, Freiheit, Vorbild. Europa ist ab auch Naivität und Scheinheiligkeit. Ausserdem ist Europa der Schauplatz des grössten Verbrechens der Geschichte.“
ORF und „Der Standard“-Korrespondent in Israel, Ben Segenreich, fühlt sich ein klein wenig wie ein Fremdkörper hier in Österreich. Der Zaungast lebt seit rund 30 Jahren in Israel, entsprechend anders ist seine Perspektive zum Thema Europa. Seine Wurzeln liegen in Rumänien. Eben Multikulti. Und somit von Haus aus offen und ziemlich neugierig. Die Perspektive Israels ist spannend, zumal: Die Israelis schielen latent nach Europa. Audi, Miele und Armani stehen hoch im Kurs, zuhause gibt`s saftige Orangen. Europa hat das Flair der weiten Welt – Kultur, Design und Chic. Der hagere Textil-Charly unbekannten Alters ist bekannt bis in den Orient. Europa fungiert als Vorbild. Punktum. Ben Segenreich plaudert munter aus dem Nähkästchen.
Tel Aviv ist nicht Europa!
Beim Songcontest sind sie dabei, auch bei Fussball und Basketball, mit den Nachbarn können sie ja nicht kicken, die spielen lieber Krieg. Es hat politische Gründe, dass die Gepflogenheiten sehr seltsam erscheinen, immerhin: Man kann fast alles kaufen in Israel, nur die Gründerzeit war spartanisch. Die humorlosen Nachbarn haben beinahe Tradition, manche Gebiete gelten als Zankapfel. Die harte Währung macht das Leben teuer, doch sonst lebt es sich sichtlich ganz gut im Orient. Doch es gibt auch Schattenseiten. Holocaust und Shoah. Ein trauriges Stück Geschichte, mitten drin im kultivierten Europa. Der Begriff Verantwortung hängt im Raum. Man kann nicht ewig als Sklave der Erinnerung leben, die Geschichte ist geschrieben, man kann es nur besser machen. Sirenen für Asche und Verderben.
An der Vergangenheit zugrunde gehen?
Das Recht auf Empfindlichkeit scheint eine angeborene Sache. Die Gedankenmuster dahinter sind komplex und konträr zugleich: Nie wieder Krieg tönt es in den Köpfen der Europäer. Nie wieder wehrlos hingegen die israelische Parole. Dazu die Konfliktsituation Israel – Palästina, es fehlt nicht an Schuldzuweisungen. Der arabische Frühling hat weitere Krisenherde gebracht, der Osten scheint ein einziger Konflikt zu sein, zumal: Die Nahostkonferenz betrifft nur Israel und Palästina, so Segenreich. Und eifrige Politiker, die Trophäen ernten wollen. Das schafft eine absurde Situation. Friedensverhandlungen ohne die Involvierten sind paradox, doch soweit scheint die internationale und sehr reiselustige Hochpolitik nicht zu denken. Fazit: Weiterwurschteln ist angesagt, solange die Opfer überschaubar bleiben, der Flurschaden ist kalkuliert. Doch irgendwie scheint es auch eine Generationssache zu sein, oder nicht?
Hoffnung ist relativ
Hass abbauen wäre angesagt. Solange das Feuer der Rache lodert, wird es nichts mit guter Nachbarschaft, so viel ist klar, und daran ändern alle halbherzigen Bemühungen nichts. Die zahllosen Konferenzen wirken bereits wie blanker Hohn, Prognosen betreffend der Zukunft sind eine heikle Sache, auch im Land der Propheten. Segenreich bringt es unverblümt am Punkt, die Zwischenrufe aus Washington dienen allenfalls der Irritation, die Sprüche haben wenig Griffiges und noch weniger Hilfreiches in sich. Der Begriff Entbehrlichkeit hängt vage im Raum.
Terror an jeder Ecke?
Gemütlich geht es zu in Jerusalem. Pulsierendes Treiben in Tel-Aviv, einer sehr dynamischen Metropole. Der moralische Zeigefinger deutet Richtung Europa: Jetzt wisst ihr wie es ist, wenn Bomben fliegen. Autsch. Irgendwie ist eine gewisse Taktlosigkeit erkennbar. Ja, wir wissen es bereits. Die Botschaft ist angekommen. Das war nicht nötig! Die Bewusstseinsbildung hat eingesetzt, auch in unseren Breiten, das Thema Sicherheit und Überwachung wurde schlagartig um einige Facetten bereichert, Detektoren und ein neuer Umgang mit Daten sind die Folge. Der Überwachungsstaat scheint unumgänglich, Polizeistaat versus Datenschutz: Immerhin, die Umstände veranschaulichen, dass Israel militärisch gut aufgestellt ist, zwei bzw. drei Jahre Militär sind viel, bringen jedoch Erfahrungen und Fertigkeiten, die prägen. Improvisieren, organisieren, denken – Charakterbildung ist angesagt. Verantwortung macht stark. Kein Wundern, dass die israelische Mentalität in einigen Bereichen etwas robuster ist als anderswo.
Sozial: Ja!
Es ist nicht so lange her, dass 5 Millionen Menschen in kurzer Zeit um eine ganze Million Zuwanderer bereichert wurden. Doch man fand Wege, die Gesellschaft hat`s verkraftet. Irgendwie ist es denn doch gegangen, doch wenn es um den EU-Beitritt der Israelis geht: Das scheint keine gute Idee zu sein, finden auch kluge Köpfe. Da passt Israel einfach nicht rein. Die EU ist selbst in der Krise, und man ist nicht immer gut umgegangen mit den Freuden aus dem Orient, siehe Kennzeichnung einzelner Lebensmittel, um nur ein Beispiel herauszunehmen. Unterm Strich: Mögen die Dinge so bleiben wie sie sind. Scheinheiligkeiten stärken die Freundschaft, nur nicht ernsthaft anecken lautet die Devise. Ben Segenreich ernüchternd: Schönrederei und eine falsche politische Korrektheit sind ungeeignet, die Umstände zu bessern. Die Situation ist grotesk. Und ziemlich statisch, was die Grundposition betrifft. Ewig grüsst das Murmeltier. Fotos: Europa DIALOG - Moni Fellner Text: Thomas Winkler |