Europa : DIALOG mit ...
Carola Schneider
„Europa ist für mich Freiheit und friedliches Zusammenleben verschiedener Kulturen, Meinungen und Religionen. Eine Freiheit, die in Gefahr ist, wenn wir nicht für sie kämpfen.“ (C. Schneider)
Europa aus russischer Sicht. Die etwas andere Perspektive der ORF-Korrespondentin liefert uns neue Ansätze. Im Gespräch mit Benedikt Weingartner erkennen wir neue Perspektiven einer uns bekannten Szenerie mit einigen nützlichen Hinweisen, die eine nähere Überlegung durchaus rechtfertigen. Moral von der Geschichte: Freiheit, Lebensqualität und soziale Errungenschaften sind nur einige jener Werte, die der gelernte Europäer als Selbstverständlichkeit hinnimmt. In Russland ist der Begriff „morgen“ zumeist mit einem bitteren Beigeschmack behaftet. C. Schneider erklärt, warum das so ist.
Gut leben. Und morgen?
Perspektiven sind gefragt. Carola Schneider bringt es auf den Punkt. Es sind die ganz alltäglichen Dinge, die den Tagesablauf in Russland dominieren. „Morgen“ oder gar die „Zukunft“ sind surreale Begriffe, die so weit entfernt sind, dass sie keine Wirkung auf das „Heute“ haben. Grundlegende Dinge wie Menschenrechte oder Demokratie sind theoretische Aspekte fernab der Greifbarkeit. Europa, genauer: Die EU ist ein rein bürokratisches Konstrukt für die Untertanen Putins, die haben nämlich ganz andere Sorgen als Erweiterung, Binnenmarkt oder Harmonisierung. Auch mit dem Begriff Solidarität können sie nur wenig anfangen. Überhaupt, wirkt die EU als eher schwacher Haufen, alleine der Entscheidungsprozess lässt wenig Einigkeit erkennen. Singende Frauen mit Bärten in der Öffentlichkeit – für Russen eine ultimative Lächerlichkeit, die zuhause undenkbar wäre. Geht die EU an den eigenen Werten zugrunde? Mit Toleranz jedenfalls scheint es nicht zu klappen, und das dürfte kaum eine Frage der Mentalität sein. Die russische Sicht der Dinge, präsentiert von Carola Schneider, wirkt wie ein Faustschlag mitten ins Gesicht. Sind wir am Holzweg?
Die weite Kluft zum Westen
Demokratie: Fehlanzeige. Menschenrechte: Pustekuchen. Und doch funktioniert das System Russland. Putin entscheidet, er hat die Verantwortung. Geld dürfen sie machen, die Russen. Die Politik ist seine Sache. Da versteht Putin keinen Spass. Korruption gehört zum Alltag, das war immer so, und wird wohl auch so bleiben, bis irgendwann zum Sankt Nimmerleinstag. Die Sowjetunion war gestern, die Erinnerung daran schafft Strukturen. Die Älteren geben sich traditionell-konservativ, nur ja nicht anecken. Die Jugend rebelliert, zumindest ab und dann. Sonst gibt`s Haue. Putin ist nicht zimperlich. Aber schnell beleidigt: Die Annäherungen an den Westen sind Vergangenheit, man fühlt sich unverstanden. Seine Werte und Wünsche kamen nicht an, doch ohne Demokratie geht nix im Westen. Das muss auch Putin verstehen. Grundrechte sind unantastbar. Überhaupt: Russland in der EU wäre unvorstellbar, bei der NATO noch viel undenkbarer: Diese hätte ausgedient. Die Gedanken an die neue Weltordnung nach Putins Visionen verursacht Unwohlsein. Soll der Putin Politik machen, zuhause. So geht`s sicher nicht. Europa ist böse, aber darum wollen wir uns jetzt nicht kümmern. Es reicht, dass „Grüne Männchen“ im Krimi um die Krim mitgewirkt haben, wie auch bei der Ukraine. Die russische Verteidigungsstrategie ist befremdend, auch wenn historische Gerechtigkeit die russische Seele besänftigt. Das faschistische Regime in Kiev hat nach einem Dämpfer verlangt, jetzt sollte Ruhe sein, auch wenn es völkerrechtlich bedenklich erscheint. Erst Minsk 2 jetzt Patt, der Konflikt ist eingefroren. Und auch daran wird sich so schnell nichts ändern.
Sanktionen: Russischer Käse?
Die Einschätzung der Sanktionen gegen Russland schwankt zwischen kontraproduktiv und kalter Dusche für Putin. Dieser kann die Landwirtschaft jedoch nicht so schnell ankurbeln, die Regale bleiben leer. Westliche Lebensmittel sind nicht länger erhältlich. Schuld ist der Westen. Logo-klaro, die Europäer schaden sich selbst. Ausser Waffen und Kaviar hat Russland nichts zu exportieren, und Käse aus Russland dürfte auf geringe Nachfrage stossen. Kurzum: Das mit Weltwirtschaft sieht anders aus, auch wenn Putin nicht klein zu bekommen ist. Russische Kernkraftwerke sind auch kein Knaller. Versteh noch einer die Welt. Könnte man den Putin verstehen, wäre der Nobelpreis drin. Doch auch das wird nichts. Wladimir tickt eben anders.
Putin macht Politik
Der Ölpreis geht runter, die Reformen hinken, unterm Strich es geht bergab: Die Krise in Russland ist nicht zu vertuschen. Korruption an jeder Ecke, Politik ist nun mal Putins Sache, von wegen Opposition: Die Kommunisten sind Statisten. Das Regime ist hart und unbarmherzig, die Medienlandschaft einseitig und gesteuert. Das Wort Lügenpresse schwebt im Raum, auch wenn österreichische Journalisten eher unbehelligt bleiben: So einfach schreiben und berichten spielt`s offenbar nicht, alles hat seine Ordnung, auch im freien Russland. Parteikontakte sind wichtig, ebenso ein breiter Einflussbereich. Die Strukturen sind klar und geordnet, aus der Reihe tanzen bringt Ärger.
C. Schneider betont den Mangel an Europa. Es fehlt an Demokratie. Menschenrechte und Freiheit sind etwas, für die es sich lohnt zu kämpfen. Diese als selbstverständlich abzutun ist für sie nicht nachvollziehbar. Kinder brauchen Zukunft und Perspektiven, doch irgendwie klingt es nach Minderheitenprogramm: Auch wenn ihr Herz für Mütterchen Russland schlägt, die Seele hängt an Europa. Und den Grundrechten. Wir brauchen mehr Selbstbewusstsein, um unsere Werte zu erhalten. Freiheit, Optimismus: Ja. Das Mittelalter ist Geschichte! Text: Thomas Winkler Fotos: Europäische Kommission / Moni Fellner
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