Europa DIALOG mit …
Hartwig Löger
„Europa ist für mich mehr als nur ein Binnenmarkt“
Der Bundesminister für Finanzen zu Gast bei Benedikt Weingartner. Es ist reiner Zufall, dass dieser in die Politik gegangen ist. Genau genommen, der gestanden Versicherungsökonom wurde regelrecht in die Politik geschoben und sogleich mit der Position des „Obersten Säckelwarts der Nation“ betraut. Als gelernter Bürger hat er Erfahrungen gemacht, welche die Politik bereichern: Mit Fragen, die aus dem Alltag kommen. Und reichlich Praxisbezug. Innovation beginnt mit dem Aha-Erlebnis. So jedenfalls scheint es. Kurzum: Seine Ansichten und Überlegungen sorgen für Überraschung, frischer Wind kommt auf.
Alle Macht dem Bundeskanzler?
Die Strategie ist klar. Der Bundeskanzler sagt wo`s lang geht. Inhalte bestimmen die Diskussion, das Finanzministerium ist als durchwegs stabil zu bezeichnen. Kein Wunder, hier sind Experten am Werk. Und: Minister Löger ist Europäer aus ganzer Überzeugung. Lang ist`s her, dass der erste Gedanke gleich hinter der Grenze den Geldwechsel betraf. Die aktuelle Lage bewirkt eine Rückentwicklung, die Grenzbalken werden hoch gezogen. Auf globaler Ebene fehlt es an Gewicht, da braucht es eine grössere Einheit, um zu bestehen. Und genau hier beginnt der europäische Mehrwert, den niemand so genau definieren kann. Oder will.
Von wegen klare Linie!
Eine klare, gemeinsame Regierungslinie ist nicht erkennbar, die latenten Reibereien lassen eine neue Definition von Europa sinnvoll erscheinen: Was ist Europa? Was bedeutet es? Welche Erwartungen haben wir an Europa? Es braucht Grundlagen für eine Diskussion über konkrete Themenstellungen, um die strategische Planung überhaupt zu ermöglichen. Unterschiedliche Bedürfnisse lassen unterschiedliche Ziele erkennen. Davon bleibt nicht einmal die budgetäre Planung verschont. Vulgo: Beginnen wir einfach bei der grundlegenden Szenariovorstellung, um dort zu beginnen, wo es auch Sinn macht. Das gemeinsame Ziel will geklärt sein, sonst kommen wir nicht weiter. Tagesaktuelle Themen trüben zudem das Bild, es sind zu viele Löscharbeiten erforderlich, um klare Linie zu machen. Kurzum: Die Umstände sind denkbar ungeeignet, um Benchmarks hervorzubringen, es bleibt vielfach bei teils mühsamen Randthemen. Das gilt speziell fürs Budget. Der strategische Ansatz zeigt eine eklatante Distanz zum Ziel. Es gilt, die Diskussion zu entflammen, wie auch die Leidenschaft für`s Projekt an sich. Ganz oben, dort in Brüssel. Aber auch beim Bürger.
Hinterfragen von Kostenstellen: Ausmisten!
Neue Herausforderungen brauchen ein neues Framework. Wünsche verändern sich, heute wollen wir ein Europa, das schützt. Das ruft Frontex auf den Plan, Aussengrenzen gewinnen an Bedeutung. Was nicht reinkommt bleibt draussen, wir setzen neue Schwerpunkte. Altes hat ausgedient, worauf verzichten wir? 290 Milliarden Kreide sind gewaltig, 60 Jahre Schuldenpolitik ist zu viel. Das Wort „Haushalt“ steht im Raum. Die Sache mit der Kohäsion scheint Probleme zu machen, in den Niederlanden hat Agrarwirtschaft eine andere Symbolik als in den Tiroler Bergen. Entsprechend komplex ist das Förderwesen, es braucht Transparenz, Nachvollziehbarkeit und Controlling. Nicht zu vergessen die Bereitschaft zu sparen, wo es möglich ist. Hinschauen, so Löger, lautet die Devise. Wer wegsieht, kann nix erkennen. Klare Ansage. Jetzt wird gespart.
Chance Ratspräsidentschaft
Der mehrjährige Finanzrahmen ist eine harte Nuss. Die Szenarien von morgen schon heute zu berechnen ist eine enorme Herausforderung, da kaum konstante Elemente erkennbar sind. Dazu die bevorstehenden Europawahlen, es sind grosse Themen, die anstehen. Die Verantwortung ist enorm, die Budgetplanung 21 – 27 wird nicht einfach. Leichter wird es mit dem Budget 2019, hier sind die Dinge greifbarer weil näher. Kurzum: Es wird Ausdauer und gute Argumente brauchen, um hier voran zu kommen. Klar, dass ein Abschluss das erklärte Ziel wäre, doch wie immer wenn`s ums Geld geht, ist mit Widerstand zu rechnen.
Europa braucht uns!
Technische Ausführungen über Europa und wie es funktioniert sind eine Sache. Mangelnde Solidarität an allen Ecken ist Realität geworden, die Willkommenskultur ein überholter Ansatz. Dazu Nationalismen hinter jeder Ecke. Pardauz. Das geht nicht gut. Frankreichs Macron tut, kämpft, arbeitet, so Löger, auch unser Kurz ist fleissig. Jede Krise bietet die Chance, die Energie neu zu leiten. Vielleicht kriegen wir irgendwann die Kurve, wir müssen miteinander reden. Eigenständigkeit und Egoismus gehen Seite an Seite, irgendwann ist es zu viel. Alles auf einen Nenner bringen geht nicht, das mit der Harmonisierung hat so seine Tücken. Stichwort Bemessungsgrundlage. Die digitale Betriebsstätte macht Kopfzerbrechen, ganz analog. Ein falscher Ansatz verursacht einen Knieschuss, im besten Fall. Geht`s blöd her droht ein Systemschaden. Feedback ist wichtig, Controlling unumgänglich. Lob für die Tools von Minister Löger, der konsequent auf politische Erdung setzt. Speziell in Budgetfragen.
Schwachstellen gibt`s genug
Pensionssystem. Gesundheitssystem. Hier gehen die Wogen hoch. Es braucht Bewusstsein, vorab. Der Minister wirbt um Verständnis, es geht einfach um Notwendigkeiten. Es gibt keinen Platz für populistische Spielereien, doch 60 Jahre Schludern ist nicht in einigen wenigen Jahren zu kompensieren, das muss allen klar sein. Es fehlt an Nachhaltigkeit, das Frauenthema ist sehr spezifisch. Die Einkommensschere ist nicht zeitgemäss, dazu Kinder und Teilzeit. Autsch, das tut weh. Dann die Altersteilzeit am anderen Ende, um Menschen an das eigentliche Pensionsalter heranzuführen. Dazwischen sind schemenhaft Baustellen zu erkennen, irgendwo ist der Wurm drin. Und was den Bereich Gesundheit betrifft: Mit € 3800.- / Jahr und Nase an Kosten sind wir weit über dem europäischen Schnitt, der bei rund € 2800.- liegt. Und sind nicht ein Quentchen gesünder. Da stimmt doch was nicht. Verpufft das Budget in der Administration? Viele Spitäler, viele Betten und so wenig Wirkung? Uuups, da stimmt was nicht. Der Wirkungsgrad zeugt von Dramatik, irgendwie blockieren wir uns selber. Wir sind Gefangene im Labyrinth des Systems.
Steueroasen: Graue Listen als AnspornWer auf der Blacklist steht hat wenig Chancen. Als Motivation gibt`s eine Graue Liste für jene Steueroasen, die sich bereit erklärt haben, den Sumpf trocken zu lecken. Es wäre eine Win-Win Situation. Die Länder profitieren und können ihre Klienten weiter bedienen, die Finanz kriegt auch einen Teil ab, in kleinen Schritten geht es Richtung Seriosität und Ehrlichkeit, wenn auch nur in wirklich kleinen Schritten. Ähnlich auch im ökologischen Bereich, es braucht Motivation und Ansporn, um überhaupt etwas zu bewegen. Das mit dem europäischen Mehrwert hat es in sich, das Konstrukt nimmt nur langsam Fahrt auf. Der Streit um die Richtung ist entbrannt. Es ist nur eine Frage des Standpunkts. Bei den Sozialleistungen wird nichts gekürzt. Es werden nur die Kosten in diesem Bereich gekürzt. Also doch Umverteilung? Naja, das Budget 2019 will zeitnah auf Schiene gebracht werden. Für Perioden in der Zukunft fragen wir einfach die Kristallkugel.
Fotos: © Europa : DIALOG / Gabriel Alarcon Text: Thomas Winkler |