Europa : DIALOG mit ...Margaretha Maleh
Psychotherapeutin, Präsidentin von „Ärzte ohne Grenzen Österreich“
„Europa ist für mich als Gemeinschaftsprojekt nicht mehr wegzudenken. Es stimmt mich aber nachdenklich zu sehen, wie hartherzig Europa mit Flüchtenden umgeht. Wir brauchen nachhaltige Lösungen, die das Wohl und die Würde von Menschen in den Mittelpunkt stellen.“
Stichwort Migration. Es werden weniger, zusehends. Das ist vorweg schon mal eine gute Nachricht. Das Mittelmeer darf kein Friedhof werden. Was es braucht sind Zukunftsperspektiven. Für Europa. Für die Menschen, die hier wohnen. Und auch für jene Menschen, die hierher kommen und dabei nicht wissen, was sie erwartet. Und dabei nicht die leiseste Ahnung haben, wie es weiter geht. Flucht ist eine riskante Sache. Manche bezahlen mit ihrem Leben. Andere trifft es nicht ganz so hart. Und alle haben eines gemeinsam: Zuhause können sie nicht bleiben. Das geht sich nicht aus.
Partnerschaft mit Afrika
Die Gelder, die von der EU nach Afrika gehen, werden gezielt in Projekte gesteckt. Die Regierungen kriegen nichts ab, es geht um Nachhaltigkeit bei der Entwicklungshilfe. Wasserleitungen, Schulen, Infrastruktur. Das Ziel ist klar, Europa hat es auf ein Freihandelsabkommen mit Afrika abgesehen. Speziell im Agrarbereich hat Afrika die Nase vorn, es wird wesentlich günstiger produziert als in Europa. Der Handel bedeutet eine Win-Win-Situation für beide Seiten, das Engagement ist entsprechend. Diese Chance lassen wir uns sich nicht entgehen.
Ärzte ohne Grenzen im Dauereinsatz
Aktuell gibt es 222 Konflikte. Eine Milliarde Kinder sind betroffen. Margaretha Maleh, Galionsfigur von Ärzte ohne Grenzen, weiss wovon sie spricht. 2017 hat ihre Organisation in 72 Ländern humanitäre Hilfe geleistet, überwiegend in Krisengebieten. Neben Katastropheneinsätzen geht es um leistbare Medizin, Pharmaindustrie und Politik sind gefordert. „Wir sprechen über Krisen und Konflikte“, so Maleh. NGOs sind eben lästig. Auch, weil sie als Sprachrohr für die Schwächsten agieren, die selbst nicht können. Und für die sich sonst niemand einsetzt.
Recruiting. Fundraising. Helfen!!!
Österreich ist eine von 24 Sektionen. Recruiting für Einsätze ist ein Thema, Maleh wirkt zufrieden. Spenden sammeln, eben Fundraising. Informieren. Lästig sein, um es salopp zu sagen. Ärzte ohne Grenzen ist ein eingetragener Verein, mit einem Jahresbudget von 23-25 Millionen Euro. Davon gehen 20% für Fundraising drauf. 80% sind für Einsätze. Der Gütesiegel für Spenden ist gerechtfertigt. In Wien sind 60 Mitarbeiter, alle angestellt. Logistik. Finanzen. Labortechniker. Die Bandbreite der Branchen ist unglaublich, man ist gut gerüstet. Für fast alles und ein bisserl mehr. Maleh war selbst mehrfach im Einsatz. Papua Neuguinea. Jordanien. Nord Irak. Sie weiss was es bedeutet, an die psychischen und körperlichen Grenzen zu gehen. Verwüstung und Zerstörung prägen den Alltag, umso wichtiger ist es, die Menschenwürde ganz gezielt zu achten und zu schützen. Opfer müssen ihre Würde behalten, um nicht auch seelisch zugrunde zu gehen.
Verhungern ist keine Alternative!
Europa hat eine magische Anziehungskraft auf Menschen auf der Flucht. Schutz und Sicherheit sind jene Faktoren, die besonders zählen. Jeder will zuhause bleiben, so Maleh, doch Umstände fernab des Erträglichen lassen keine andere Wahl. Es braucht viel Mut, ins Unbekannte zu gehen. Kultur, Sprache, Perspektiven. Selbstbewusst fordert die Helferin aus Leidenschaft Respekt und Menschlichkeit für die Ärmsten ein, die Zustände in den Krisenregionen sind fernab des Vorstellbaren. Viele Vorurteile sind im Spiel. Die Politik ist nicht immer ehrlich, so Maleh.
Balkanroute auf. Balkanroute zu!
Wähler sind Stimmen. Politische Interessen sind nicht unbedingt kompatibel mit effizienter Hilfe. Es geht um Macht, um Einfluss. Und politische Ziele. Die Helferin aus Leidenschaft bekrittelt die menschliche Kompetenz der Politik, doch wir können nicht alle aufnehmen. 2015 darf nie wieder passieren, die Fehlentscheidungen der Politik hinterlassen Spuren in der Gesellschaft. Rüffel für die Verantwortlichen, Lösungen sind nicht in Sicht. Es scheitert an der Integration, es geht um Menschenrechte.
Aquarius II: Angedockt!
Den Vorwurf der kriminellen Organisation weist Maleh heftig zurück. Da hat sie bereits mit unserem Bundeskanzler angelegt. Sie spricht von unhaltbaren Unterstellungen. Niemals habe man mit Schleppern zusammengearbeitet, so Maleh. Es gibt keine gerichtliche Anklage. Die Vorwürfe sind aus der Luft gegriffen. Die Politik lügt. Irgendwie sind die Involvierten nicht gerade zimperlich, das Schiff liegt im Hafen von Marseille. Rüffel für die Medien, Margaretha Maleh vermisst neutrale Berichte. Zugegeben, NGOs sind lästige Geschwüre. Doch ganz ohne geht es nicht, die Politik sieht über manche Dinge nur zu gerne hinweg. Was nicht ins Konzept passt, darf es einfach nicht geben. Wenn ich die Augen zumache, siehst du mich nicht. Immer das gleiche Spiel. Die Politik will die NGOs raus aus dem Mittelmeer haben, es geht um rein politische Überlegungen. Sie hofft, bald wieder in See stechen zu dürfen, man hat gegen keinerlei Rechte verstossen. Die Wogen gehen hoch.
Menschenhandel. Folter. Vergewaltigung.
Die Zustände in Libyen sind katastrophal. Humanitäre rechte werden von der Politik mit Füssen getreten. Seenotrettung ist rechtlich geregelt, doch das scheint niemand zu interessieren. Völkerrecht und Menschenrechtskonvention mutieren zu rein theoretischen Gebilden mit Symbolcharakter. Das Gewissen will schliesslich beruhigt werden, nur draussen, da ist alles anders. Dazu ist Populismus im Spiel, die erhobenen Zeigefinger kommen nicht zur Ruhe. Klimawandel, Verfolgung, Unruhen, kurzum: Die Völkerwanderung hat begonnen. Das Ende ist nicht vorhersehbar. Dürre macht ganze Regionen unbewohnbar, ohne Existenzgrundlage geht nichts. Es bleibt die Flucht. Konflikte sind vorprogrammiert. Die Problematik betrifft nicht alleine Europa, es ist vielmehr eine globale Angelegenheit. Die Politik ist kurzsichtig, mit Nationalismen stehen wir an. NGOs sind wirklich nicht zimperlich, die Rolle als Lästerer und Aufzeiger beherrschen sie wirklich, doch das reicht kaum aus, um den Schneeballeffekt zu verhindern. Wir alle wissen, dass es mit der Integration nicht wirklich funktioniert.
Keine Gelder von Institutionen!
Was die Quelle der Gelder betrifft, sind Ärzte ohne Grenzen sehr konsequent. Um Unabhängigkeit zu wahren, werden keine Gelder aus öffentlichen Mitteln akzeptiert. Humanitäre Gelder dürfen nicht an politische Interessen gekoppelt werden, so die Devise. Irgendwie scheinen wir weit entfernt von paradiesischen Bedingungen zu sein, es ist nicht alles Gold was glänzt. Menschen wollen leben, also kochen, lachen, feiern, arbeiten. Mehr nicht. Es geht um Wertschätzung. Fehlt diese, gerät die Sache sehr schnell aus der Balance. Es kommt zu Konflikten und Gewalt. Politiker sieht sie als notweniges Übel. Medikamente sind teuer. Die Einsätze sind berührend. Die emotionale Komponente hat Gewicht. Stellt die Menschen ins Zentrum der Entscheidungen, so Mathilda Maleh. Eine Frage bleibt noch offen: Wo gehen wir hin …??? Text & Fotos: Thomas Winkler
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