Europa : DIALOG mit …
Ulrike Guérot
Leiterin des Departments für Europapolitik und Demokratieforschung an der Donau-Universität Krems, Gründerin des European Democracy Labs.
Politwissenschaftlerin. Visionärin. Und sicher ein Wirbelwind. Guérot sucht Auseinandersetzungen und Themen. Es geht um die Zukunft unseres Kontinents. Sie will ernst machen mit Europa, wie ihre zahlreichen Publikationen zeigen. Die Herausforderungen sind enorm. Alle reden von Reform, Guérot geht einen Schritt weiter. Sie will echte europäische Demokratie. Mehr noch. Sie hofft auf eine Neugründung. Im Mittelpunkt der Überlegungen steht der Bürger. Die Erfahrungen in verschiedenen ThinkTanks wollen heraus. Hat das quirlige Temperamentsbündel gar jenes Quentchen Weisheit entdeckt, welches unser Europa zielsicher in die Zukunft führt?
10. November: Gründung der europäischen Republik!
Normale einfache Leute. Menschen wie Du und ich. Eben europäische Bürger. Und diese wollen integriert werden. In einem sensationellen Kunstprojekt hat Guérot, gemeinsam mit Robert Menasse an über 100 (Theater)Balkonen und öffentlichen Plätzen die europäische Republik ausgerufen. Die Zukunft entsteht aus der Vergangenheit, da kommen wir nicht rum. Das, was man wirklich will, muss ausgesprochen werden, um der Sache Dynamik zu verleihen. Greift sie damit den Entwicklungen voraus? Manipuliert sie gar die Zukunft? Immerhin: 50 Tausend Menschen haben mitgemacht. Zuhause. Am Bildschirm. Irgendwie, so scheint es, hat die Vision Europa die Herzen der Menschen erobert.
Nicht radikal. Aber umso konsequenter!
Die rechtliche Gleichheit aller Bürger als oberstes Ziel. Das ist die Vision von Ulrike Guérot. Doch von der Bühne in die Realität ist ein weiter Weg. Ihr „Wut“-Buch „Warum Europa eine Republik werden muss“ hat sich zum Knüller entwickelt. Es begann 1992. Maastricht. Artikel 23. War alles umsonst? Das Demokratiedefizit steht am Pranger. Akademischer Elfenbeinturm? Pustekuchen. Nicht mit Ulrike Guérot. Sie plant. Sie denkt. Sie publiziert. Dabei, so scheint es, ist der Schritt zur europäischen Republik naheliegend zu sein. Macht. Währung. Demokratie. Kurzum, ein Pony-Ritt ist dagegen ein Klacks.
Europa der Bürger?
Eine Person ist eine Stimme. Von Gleichheit ist die Rede. Irgendwie happert es an der Gewichtung, keiner versteht`s weil es so kompliziert ist, das Projekt Europa. Der Bürger, so Guérot, muss Souverän des Systems sein. Anders taugt es nicht. Heute ist er irgendwie nachgelagert, was wiederum das mangelnde Vertrauen erklärt. Theoretisch zumindest. Aus dem europäischen Parlament kann keine Regierung rauskommen, Versuche der Demokratisierung laufen bereits. Doch wo anfangen? Nochmals: Eine Person. Eine Stimme. Das ist die absolute Grundvoraussetzung. Es scheitert an der Sprache, auch wenn es viele Debatten gibt. Ohne gleich zynisch zu werden: Da geht`s um was! Guérot ist kaum zu halten. Der DIALOG ist spritzig, das Publikum im Haus der EU geht euphorisch mit. Und: Wären wichtige Themen im Parlament, da wären sie alle da, die Medien, die das Thema Brüssel wie eine faule Kartoffel links liegen lassen. Und: Viele, die in Brüssel engagiert ihr Bestes geben, werden von zuhause abgestraft und ausgepfiffen. Da stimmt doch was nicht?
Nationale Komponente: Kritisch!!!
Ein europäisches Vereinsrecht liegt bereits in der Schublade. Doch es ist wie so oft, es hakt auf nationaler Ebene. Wenn es der Bürger versteht, verlangt er danach. Nur: Er versteht es nicht. Geht alle Macht vom Bürger aus – kommt sie so schnell nicht wieder. Erste Kammer Bürger. Die Ansage ist klar, die chronischen Disfunktionalitäten regen bereits auf. Dem Senat wird immerhin eine gewisse Gewichtung zugestanden. 50 europäische Regionen statt Nationalstaaten wäre denkbar. Uuupps. Da bleibt wirklich keine Stein auf dem anderen. Europa wird umgebaut. Und wieder ertönt das Mantra: Der Bürger ist Souverän. Doch das will gelebt werden. Wird es aber nicht! Und gleich setzt Guérot noch einen drauf: Die Bürger sind bereit. Nicht aber die Nationalstaaten. Tosender Applaus im Publikum!
Macht. Euro. Europäische Demokratie!
Guérot fackelt nicht lange rum. Die europäische Sozialversicherungsnummer rückt in greifbare Nähe. Neben der europäischen Demokratie wäre das ein Meilenstein für die nächste Generation. 2022 könnte es soweit sein. Was nicht sofort gelöst wird landet auf der Zeitschiene. Bis dahin fliesst noch einiges Wasser die Donau runter. Das Rentensystem wie wir es kennen, hat ausgedient. Wir sind fernab von einem Superstaat. Zentralisierung spielt`s nicht. Einheit in Vielfalt lautet das Credo. Und herzhaft lachend bestätigt Guérot: „Ich bin nicht naiv!“
Hoffnung ist … dass man das Richtige tut!
Der Euro lag seit den 70-igern in der Tasche. Es kommt auf den Moment an. Schwupp, der Schilling war weg. Könnt ihr euch noch an den Alpendollar erinnern? Die Diskussionslandschaft ist verseucht, speziell im Osten. Polen. Ungarn. Ein falsches Wort. Mucksmäuschen still ist es im Saal. Meinungsfreiheit taugt nur dann, wenn`s den Bonzen gefällt. Guérot ist nicht gerade zimperlich. Die populistische Bedrohung verursacht eine Schockstarre. Erinnern wir uns, was eine Nation ausmacht. Heute. Sieben Verfassungsbrüche in rund 200 Jahren in Deutschland sprechen Bände. Eine Nation ist das Zufallsprodukt der Geschichte. Der Brexit schweisst zusammen.
30% mehr Budget?
Europäische Mindestsicherung und Arbeitslosenversicherung kosten Geld. Das Budget müsste bei 30% liegen, um die Idee realisieren zu können. Rechtsgleichheit ist a priori nicht links, wie wir erfahren dürfen. Es folgt die Institutionalisierung der Solidarität. Rein theoretisch zumindest. Bis diese Visionen Realität werden dürfte es dauern, heute haben wir andere Probleme. Grüsse an den Benko. Er investiert in Medien. Geld verdirbt den Charakter, wie sieht es dann mit der Blattlinie aus? Bleibt die Pressefreiheit? Wer erzählt uns was? Irgendwie wird reichlich heisse Luft rausgeblasen, das ist gefährlich. Unter dem Teppich war es auch schon mal sauberer, so scheint es. Und die Meinungen werden verzogen wie ein alter Drahtesel, weh dem wer anders tickt. Überhaupt, was den Dialog mit dem Bürger betrifft, da ist viel Slapstick im Spiel. Kaum Inhalt. Und noch weniger Herzblut. Eine echte Blabla-Orgie eben. Sturz aus der Chefetage. Selbst gemacht. Dem Dialog fehlt`s an Struktur und Tiefe!
Viel zu verhandeln!
Was passieren soll passiert ohnehin. Erasmus versus nicht so toll, da klafft eine Kluft. Guérot denkt an ein Haftungsprinzip. Das gab`s noch nicht beim Brexit, es fehlt an Abschätzungskompetenz. Immer nur die gleichen Mantras, Stereotypen sind Langeweiler. Weil mühsam. Autsch. Überhaupt, sie wäre wahnsinnig gern Pippi Langstrumpf. Beim Maskenball. Die Thesen bringen frischen Wind in das verstaubte Konstrukt. Sterben für Freiheit. Aber nicht für Sicherheit. Schnell an den Steuerhebel. Ran an die Macht, so das Credo, das wir mitbekommen. Text & Fotos: Thomas Winkler |