Europa : DIALOG mit ...
Raimund Löw
„Europa ist für mich wie ein grosser nicht enden wollender Krimi, der einen nie loslässt, weil man weiss, dass es um sehr viel geht.“ Mit diesem Statement geht EU-Spezialist Raimund Löw in die erste Runde der Podiumsgespräche Europa. Die Architektur der Eurozone steht am Prüfstand.
Haus der Europäischen Union, Wien. Die Podiumsgespräche Europa : DIALOG mit … befassen sich mit dem Kulturprojekt Europa und hinterfragen unsere Identität. Sind wir bereits in Europa angekommen? – Heute ist EU-Spezialist Raimund Löw am Wort. Im Gespräch mit Benedikt Weingartner geht der österreichische Sherlock Homes, dem nicht einmal die geheimsten Sitzungsprotokolle verborgen bleiben, so Georg Pfeifers Worte, unverblümt zur Sache. Der Insider weiss, wovon er spricht.
Schafft die EU den Neuanfang?
Europa ist spannend, es geht um viel. Mit der neuen Kommission kann der Neuanfang beginnen. Die Polit-Schwergewichte wissen worum es geht, es könnte, so Löw, die stärkste Kommission geben, die bislang aktiv war, auch wenn die Schwierigkeiten nicht zu übersehen sind. Die Konfrontation mit dem Europäischen Parlament verspricht maximale Explosivität, man kann es nicht allen recht machen. Den erzkonservativen spanischen Umweltminister abzulehnen wäre geeignet, den nationalen Stolz der Spanier zu strapazieren, ähnlich sensibel ist der Poker um andere Positionen.
Nationalstolz versus Solidarität
Schwierige Landeshauptleute und eine aufmüpfige Opposition prägen die Szenerie. Was Österreich betrifft, so ist in vielen Bereichen wenig Spielraum erkennbar, wobei Österreich kein wirklich gewichtiger Player der EU ist. Gemeinsame Ziele sind nur schemenhaft erkennbar, über die künftige Architektur der Eurozone erwartet Löw eine spannende Diskussion. Die EU als Zwitter aus Bundesstaat und Staatenbund agiert als Gebilde, basierend auf Letztentscheidungen der Mitgliedstaaten, doch diese sind sich selten einig. Kompromisse als Ausweg erklären die vielen Umwege, die Widersprüche sind kaum zu übersehen. Nationale Belange haben enormes Gewicht, die Hybridsituation erfordert einen ausgeprägten Balanceakt.
Diskrete Gipfeltreffen, Transparenz und viele Trophäen
Verhandlungen hinter verschlossenen Türen, ein geradezu ritueller Informationsfluss und auch sonst reichlich Geheimniskrämerei: Was die Spitze mit diplomatischer Zurückhaltung präsentiert, wird zuhause als Siegestrophäe präsentiert. Es gibt nur Gewinner. So will es die Zeremonie. Zwecks Vertraulichkeit gibt es kein offizielles Protokoll, Vertraulichkeit schafft schliesslich die gemeinsame Identität. Die Miniausgaben der nationalen Regierungen vor Ort schaffen gemeinsam mit den Hauptakteuren und der gelebten Intimität thematischer Natur eine spannende Atmosphäre. So ganz beiläufig ist zu erfahren, dass wir mehrfach haarscharf am Kollaps vorbeigeschrammt sind. Dennoch, die Entscheidungen der Hauptakteure basieren, zumindest wenn`s ums Geld geht, auf Pro und Contra und reichlich Zahlenmaterial.
Gemeinsames Europabudget unvorstellbar
Pensionsalter, Steuersystem, Rüstung. In vielen Punkten ist gemeinsame Sache in weiter Ferne. Zankäpfel werden sehr vorsichtig angegangen, und wo`s wirklich wichtig wäre, ist ohnehin keine Einigung in Sicht. „Mutti Merkel“ stellt wenigstens die richtigen Fragen, doch die kommen nicht immer gut an, zumindest nicht bei den Mitgliedstaaten. Sichtbare Halbherzigkeit ist kaum zu übersehen, die dominierenden Minischritte in allen nur denkbaren Belangen sorgen für Unmut bei den Europäern. Konfliktsituationen beeinflussen die Identität, die Globalisierung mutiert zum Feindbild für den Sozialstaat. Mehrfache Versuche einer europäischen Arbeitslosenversicherung sind gescheitert, die Gewerkschaft hat das Thema vorsichtshalber erst gar nicht ernsthaft aufgegriffen. Es wird wohl weiter bei der klassischen 5-Eckenfinanzierung für viele Fälle bleiben, Beispiel Arbeitslosenversicherung auf europäischer Ebene. Das gilt nicht nur für Griechenland. Es gibt nun mal Themen, die exakt in die politische Tabuzone fallen.
Geheimes Europa verursacht Unbehagen
TTIP, Lobbyismus und Banken. Viele Komponenten verursachen Unbehagen. Dass Verhandlungen von Diskretion geprägt sind, hat eine lange Tradition. Öffentliche Kontrolle darf den Verhandlungsverlauf schliesslich nicht behindern. Lobbyismus gilt als Problem der Gesellschaft, es braucht jedoch klare Regeln. Was die Bankenfrage betrifft: Europäische Zentralbank, Aufsichtsbehörde und Euro-Finanzminister hätten die Gelegenheit, die Banken an die Leine zu nehmen. Nur mit der Einigkeit ist es so eine Sache, diese ist nicht erkennbar. Nationale Egoismen hemmen den Fortschritt, mit Pragmatismus stehen wir an. Die europäische Seele blutet.
Text & Fotos: Thomas Winkler
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