Europa : DIALOG mit …Martin Selmayr
Moderation: Benedikt Weingartner
Der Hausherr zu Gast bei Benedikt Weingartner. Während draussen COVID-19 Medien und Menschen auf Trab hält, beschäftigt, erläutert der aktuelle Leiter der Europäischen Kommission in Österreich die Ereignisse und jüngsten Entwicklungen am europäischen Kontinent. Gleich vorab: Ursula von der Leyen macht einen guten Job. Die ersten 100 Tage gelten als Gnadenfrist, da geht es um Mitarbeiterstab, Büros und Organisation des Umfelds. Erst dann geht es richtig zur Sache. Wo stehen wir jetzt?
Digitalisierungsstrategie und Green Deal
Die österreichische Regierung hat in den ersten 9 Wochen eben mal die Hälfte der neuen Mitarbeiter eingestellt. Etwas mehr Tempo ist in Brüssel zu erkennen: Die Offensive für Digitalisierung und der Green Deal sind beschlossene Sache, der West-Balkan braucht neue sprich europäische Perspektiven. Selmayr lobt den eigentlich fulminanten Start für die neue Kommission. COVID jedenfalls stand nicht im Horoskop. Wenn die Presse nichts zu meckern hätte wäre es jedenfalls bedenklich, das nämlich gehört dazu zum Tagesgeschäft rund um die Demokratie: Alleine schon wegen der Leser sind die Medien auf kantige Headlines angewiesen. Selmayr weiss bestens Bescheid um das traditionelle Katz-Maus-Spiel der involvierten Kontrahenten, die aufeinander angewiesen sind: Knackige Überschriften beleben das Geschäft.
Liefern, was versprochen wurde
Von der Leyen ist konsequent. Versprechen müssen eingehalten werden. Punktum. Was den Green Deal betrifft, hat sie kurzerhand Greta Thunberg als Symbolmännchen an Bord geholt und medienwirksam als Verbündete präsentiert. Das Motto: Machen was geht, und das ist zu wenig. Zumindest aus Sicht der stets nörgelnden Klimaaktivistin. Vereinter Ehrgeiz bringt Dynamik, die Kommission stürmt nach vorne. 27 Mitgliedstaaten verwässern den Deal. Rüffel sind angesagt. Eigentlich macht es von der Leyen recht clever: Sie sagt wo`s lang geht, die umweltbewusste Schwedenbombe nervt die Mitglieder: Hört euch Thunberg nur an …
Idealzustand versus Machbarkeit
Das Thema Aussengrenzen war bereits vor rund 20 Jahren aktuell, ebenso die fast leidige Asylproblematik. Konzepte der Kommission wurden schubladiert, gnadenlos, nach viermaliger Ablehnung. Dabei hätten wir genau diese Lösungen gebraucht. Jetzt kriegen wir`s dicke, es geht um Machbarkeit. Die soziale Transformation hat eingesetzt und betrifft jeden von uns. Dazu die Pendler, ohne die es nicht geht. Die kann man nicht einfach anbinden, es geht um Jobs und Planbarkeit.
Mechanismus der Kompensation
Innovation kostet Geld. Polen stellt das Energiesystem um. Zuhause werden Ölheizungen ersetzt. Das reisst Löcher ins Budget, da und dort. Von der Leyen will die Menschen mitnehmen. Die Kluft Arm versus Reich darf nicht weiter wachsen, es braucht Verbindlichkeit. Der Reiche kann verzichten, der Arme pfeift ohnehin schon am letzten Loch. Soll heissen: Helfen, wo es erforderlich ist. Das hört sich gut an. Die Umrüstung nämlich ist teuer. Von Kohle auf erneuerbare Energie umzustellen auch. Polen darf mit Geldern aus Brüssel rechnen. Deshalb der Mechanismus des gerechten Übergangs, um den Umstieg zu ermöglichen, ohne daran gleich zugrunde zu gehen. Es geht um Energie-Ressourcen und unsere Zukunft. Klimaneutral bis 2050 ist eine steile Ansage.
MFR: Tanz um den Fördertopf
Was das Geld betrifft: Das Budget ist in Zahlen gegossene Politik. Von der Leyen hofft auf eine baldige Einigung, es geht um die Zukunft von 27 Mitgliedstaten. Zum Vergleich: In Österreich geht es ums jährliche Budget. Im vorliegenden Fall betrifft es die Mitgliedstaaten und 7 Jahre, das macht die Sache ziemlich komplex, überhaupt angesichts der laufenden Herausforderungen und Ziel. Was immer wir erreichen wollen, der Weg ist steinig. Vor 7 Jahren gingen 1% des BTO-Haushalts an die EU. Diesmal sollte es etwas mehr sein, um den Anforderungen zu entsprechen. Aussengrenzen und Migration können nicht ewig warten, zudem müssen Forschung und Innovation vorangetrieben werden. Die Verantwortlichen geben sich zurückhaltend. Sparsamkeit ist eine Tugend.
Flexibilität und Prioritäten
Die Brotscheibe wird grösser und es kommt weniger Butter drauf. Die Einigung stärkt das Vertraue in die Handlungsfähigkeit. Die „Rädelsführer“ im Club der Sparsamen drängen auf Bescheidenheit, wir zahlen nicht immer. Demgegenüber stehen 17 auf der anderen Seite, die wollen Geld. Alleine die Energiewende kostet ein kleines Vermögen, doch es geht um mehr als nur Dekarbonisierung. Angesichts der Herausforderungen ist es angebracht, Prioritäten zu setzen. Diese müssen jedoch kommuniziert werden. Und genau hier hakt es. Nettozahler versus Nettoempfänger. Die Regierungen erklären es nicht. Oder wollen sie es nicht verstehen, worum es hier geht? Nur Trophäenjagd in Brüssel geht eben nicht.
EU buhlt um Verständnis!
Polen, Ungarn und Co wollen Geld. Andere knausern. Wer mehr abräumt ist ein toller Hecht. Wo bitte bleibe die angebrachte Ehrlichkeit? Bürger fühlen sich gefoppt angesichts der zankenden Wendehälse. Dazu kommen die Ambitionen um den West-Balkan. Das kostet. Es geht um Stabilität und Friede in unserer Nachbarschaft. Die europäische Geopolitik darf nicht nur ein Schlagwort bleiben, dazu Erasmus. Die Errungenschaften der Vergangenheit eröffnen neue Perspektiven, aber: Wir sind angehalten, steil am Wind zu segeln und weiter in europäische Projekte zu investieren, um das Projekt Europa zum Erfolgsmodell zu machen, so Hausherr Martin Selmayr.
Wo liegt der Mehrwert?
Burgenland damals und heute. Das ist kaum zu vergleichen, die Region ist aufgeblüht. Vielmehr sollten wir verstärkt über Projekte reden, und nicht immer über zahlen. Projekte nämlich sind greifbar und hinterlassen Eindruck, während Zahlen immer eine sehr theoretische Angelegenheit bleiben, zumindest für Bürger. Bei Verhandlungen ist viel Taktik im Spiel. Hahn tingelt durch die Lande, die Kommission will das Vorzeigeprojekt Erasmus verdoppeln, besser gleich verdreifachen. Chancen und Perspektiven für alle lautet das Credo. Es geht um Prioritäten. Bis Sommer soll der MFR stehen. Fordert von der Leyen. Geht nicht gilt nicht.
Der reichste Kontinent der Welt
Europa ist gut aufgestellt. Wenn da nur die vielen kleinen Brandherde nicht wären. Die Völkerwanderung verursacht eine psychologische Überforderung, zahlenmässig wäre es kein Problem. Alle müssen ran, sonst geht es nicht. Es fehlt an Solidarität in allen Belangen. Mit der Kommunikation klappt es nicht, drum grummelt es auch im Gebälk. Denn wer lauft schon gerne von zuhause weg? Am Asylrecht müssen wir feilen, die Bilder von der Grenze erzeugen gemischte Gefühle. Die Botschaften und die Bilder passen jedoch nicht immer zusammen, da geht was merklich daneben. Denn da sind kein Syrer zu erkennen, viel mehr Afrikaner und Afghanen. Sind es etwa Wirtschaftsflüchtlinge?
Mechanismen funktionieren!
Türkei. Syrien. Flüchtlinge. Es braucht hat einen permanenten Dialog. Die türkischen Erpressungsversuche jedenfalls waren nicht geeignet, Vertrauen zu schaffen. Wir dürfen uns nicht erpressen lassen. Irgendwie war`s ein Hilferuf, die Türkei steht an. Wir sind die Stärkeren, der Deal braucht eine Runderneuerung. Reden wir bewusst von einer europäischen Pflicht. Die Primärquelle der Kalamitäten sitzt in Syrien, hier kommen wir nicht ran. Ein Machtvakuum ist entstanden, die politisch ungelenk anmutenden Handlungen sind kaum geeignet, Stabilität zu schaffen, zumal die Türkei in unserer unmittelbaren Nachbarschaft liegt, das dürfen wir nicht vergessen. Entsprechend braucht es geeignete Zeichen, um die Lage einzudämmen. Griechenland ist der Staatspleite nur knapp entgangen, das dürfen wir nicht vergessen. Und: Kredite sind kein geschenktes Geld, die müssen auch bedient werden. Eine Lastenteilung in der Migrationspolitik ist jedenfalls unumgänglich.
Die Zukunft Europas
Digitalisierung. Künstliche Intelligenz. Green Deal. Die Themen sind ambitioniert, doch erst geht`s um die vielen kleinen und grossen Baustellen rundum. Putin hat die Krim annektiert. Das Thema O-Ukraine ist Sprengstoff. Vielleicht hilft eine vernünftige Beziehung zu Putin? 2016 dann der Brexit. Nur schlecht reden rächt sich. Irgendwann, und meist dann, wenn man es gar nicht braucht. Und dann Trump. Europa muss endlich raus aus der Komfortzone! Trump hat die EU als Sicherheitsrisiko bezeichnet. Irgendwie hat er recht, wir brauchen stabile Aussengrenzen, der Weg zum Player ist steinig. Immerhin steht die Rechtsstaatlichkeit. Jetzt jedenfalls geht es um unsere Gesundheit. COVID19 bestimmt die Schlagzeilen, die Stellen vor Ort sind gefragt. Ohne Forschung geht es nicht, am besten gut vernetzt. Und was Medikamente betrifft, hier sind auch einige Überlegungen angebracht.
Gemeinsam zum Erfolg!
Klimaziele, Energieversorgung, Mobilität: Einmal mehr lernen wir, dass es nur gemeinsam geht. Europa ist Wirtschaftsmacht, das dürfen wir nicht vergessen. Wir müssen eifrig an den Stellschrauben drehen, damit das auch so bleibt, und das braucht Flexibilität. Europa ist kein Wunschkonzert. Wir müssen dafür arbeiten. So die Botschaft von Martin Selmayr. Text & Fotos: Thomas Winkler |