Europa : DIALOG mit …Martyna Czarnowska
… moderiert von Benedikt Weingartner
Sachlich-kühl. So könnte man die Statements der Europa-Spezialistin der „Wiener Zeitung“ wohl am treffendsten beschreiben. Der Zustand Europas ist genau dort, wo er vor drei Monaten auch war. Dazwischen wurde gewählt. Dazu viel Gemauschel rund um den Brexit. Unsere Regierung wurde abgeschossen. Aber es hat sich nix verändert. Sagt Czarnowska. Es ist ein ewiges Evaluieren. Die Suche nach sich selbst gestaltet sich sichtlich schwierig. Wann finden wir uns? Die Schäfchen laufen davon, in alle Richtungen. Wir müssen sie wieder einfangen. Die Institutionen brauchen ein neues Gefüge. Wir drehen uns im Kreis. Der Brexit ist eine Krise für sich. Aber Krisen bringen uns weiter. Sagt man. Der vielzitierte Krisenmodus deutet auf Pessimismus.
Wie viel Schieflage verträgt der Kontinent?
Was die Briten betrifft, so sind tiefgreifende Zweifel an den Mechanismen der Demokratie berechtigt. Die Krise ist hausgemacht, selbst gestandene Insulaner blicken da nicht mehr durch. Werden die Angelegenheit aber ausbaden müssen. Das steht fest. Was das Europäische Parlament betrifft, die Sache ist nicht einfacher geworden. Waren bislang stabile Mehrheiten möglich, so wird die Entscheidungsfindung zusehends komplexer, so leicht ist es nicht mehr mit den Verbündeten. Es ist pluralistischer geworden. Die Idee mit den Spitzenkandidaten hat sich nicht durchgesetzt, in manchen Ländern wird darüber nicht mal nachgedacht, geschweige denn gesprochen. Dass von der Leyen an die Spitze kam ist darauf zurückzuführen, dass das Parlament keinen Kandidaten vorgeschlagen hat. Also doch Best Practice. Feministische Ansätze lassen Bewegung erkennen. Was die Zukunft betrifft: Geopolitische Führung hängt im Raum.
Blumige Visionen rund um Europa
Die Institution selbst ist sehr politisch, also muss auch die Kommission politisch denken und zugleich als Mediator für Mitgliedstaaten einspringen. Top-Jobs gibt`s nur für die Elite. Polen. Deutschland. Frankreich. Timmermans wäre nie ran gekommen, er ist ein Rotes Tuch. Für Polen und die Ungarn gleichermassen. Er setzt auf Rechtsstaatlichkeit, sehr zum Leidwesen genau dieser Länder. Was die Kommissäre betrifft, die haben dreistündige Hearings zu bestehen, bevor es ernst wird. Und das ist gut so, denn da sind bereits erste Ideen und Leitsätze erkennbar. Auch wenn viel Show dabei ist, alles kann nicht realisiert werden. Asyl und Dublin gingen nicht durch, das ist am Rat gescheitert. Juncker kann ein Lied davon singen. Es wird zugegeben viel verwässert, und das was rauskommt hat mit der Grundidee oft gar nichts gemeinsam. Best Practice steht an der Tagesordnung, und das ist sicher nicht übel.
Finten und Verschwörungen
Show und Spiel sind an der Tagesordnung. Finten und taktische Manöver dienen ausschliesslich dem Erfolg, sonst wäre es nicht Politik. Reichlich Theorie und wenig Beweise im Wettkampf mit frei erfundenen Halbwahrheiten bestimmen das Spiel, man kann es nicht allen recht machen. Punktum. Das Schicksal war uns gnädig und hat mit Johannes Hahn für das Budget den wohl besten Mann bestellt, da kann schon mal nichts schiefgehen. Fad wird J. Hahn sicher nicht, der MFR ist eine höchst spannende Sache, überhaupt angesichts der recht streitlustigen Widersacher. Erasmus ist nur eine kleine Nummer, auf die niemand verzichten will. Haarig wird`s bei Agrar- und Infrastruktur, über die Verteidigung reden wir erst gar nicht. Hier ist der gemeinsame Nenner nicht mal zu erahnen, zumal es um stattliche Budgets geht.
Europäische Kultur und Ravioli
Italien das Wirtschaftsressort zu überlassen verursacht Unwohlsein. Doch was hat es mit dem europäischen Lebensgefühl auf sich? Ist es die finnische Sauna? Italienischer Espresso? Oder einfach nur Ravioli? Der Hofknicks vor dem rechten Flügel ist nach wie vor nicht salonfähig, das steht fest. Schutz vor bedeutet etwas fernhalten. Das Wort Migration ist zu vernehmen. Martyna Czarnowska spricht aus was andere denken. Die flockigen Formulierungen von der Leyens werfen ein diffuses Licht auf brennende Probleme, der Weichzeichnereffekt benebelt die Sinne. Was die Steuer betrifft: Vom Einstimmigkeitsprinzip sind wir meilenweit entfernt. Wie auch.
Verbale Faserschmeichler fürs Gemüt
Der „Grüne Deal für Europa“ dominiert die Agenda. Doch speziell im Bereich Klima und Umwelt gibt es rundum viele Ausreisser und Bremser. Vom klimaneutralen Europa sind wir Lichtjahre entfernt. Europa ist ein Versprechen, für die junge Generation. „Hosianna“ für Wirtschaft und Digitalisierung, die Ambitionen sind kaum zu übersehen. Dazu die Hoffnung auf ein starkes Europa: Die Globalisierung kennt kein Erbarmen, wer nicht mitzieht bleibt zurück. Die Postulate schüren Hoffnung, doch wir wissen nicht, wieviel Spielraum es wirklich gibt. Viele Debatten prägen den Alltag. China wächst. Die Amis blocken ab, Handelskriege lodern auf. Ob das wohl gut geht? Die Chinesen haben andere Prämissen ganz ohne soziale Ambitionen oder gar Standards. Europa wabbert rum und ist sehr angreifbar, überhaupt: Keiner will die Verantwortung übernehmen, wenn`s wieder schief geht. Das Szenario wirkt reichlich zerklüftet.
Softskills versus Wettbewerb
Die Polen stauben kräftig ab. Landwirtschaft und Infrastruktur sind lukrative Posten. Auch wenn`s an vielen Ecken hapert, so sind die Polen überaus dankbare Abnehmer der europäischen Fördergelder. Problematisch hingegen die Umweltaspekte: Ohne Kohle geht nichts, die Steigerungsraten bei den erneuerbaren Energien bewegen sich in homöopathischen Mengen. Energiewende sieht anders aus, ohne Geld sprich Kohle herrscht Stillstand. Doch das Bild, das diese von Europa haben, ist recht positiv. Nur mit Timmermans können sie nichts anfangen, der passt nicht ins Konzept. Doch darauf soll es nicht ankommen: Die EU muss sich entwickeln. Wir setzen auf Standards und ausgeprägte Softskills. Blöd nur, dass dabei die Wettbewerbsfähigkeit auf der Strecke bleibt. Arbeitnehmerrechte haben eben ihren Preis, die Steuerlast ist auch nicht ohne.
Verbindliche Rechtsstaatlichkeit
Der Brexit bringt Veränderungen mit sich. Entsprechend sind die Erwartungen der Menschen an die Zukunft. Zugeständnisse sind Mangelware, wir brauchen eine klare Linie. Mit Artikel 7 ist es so eine Sache, dazu der MFR. Gegenwind ist vorprogrammiert, das wird nicht einfach. Geldvergabe an Bedingungen zu knüpfen macht Sinn, das hat überhaupt nichts Unmoralisches an sich. Was Erweiterungen betrifft so ist Zurückhaltung angebracht, erst müssen die Hausaufgaben gemacht werden. Das ist Voraussetzung, um spätere Probleme zu vermeiden. Nur: Wenn die Beitrittsverhandlungen aus bleiben ist ein Abwandern einiger Länder zu befürchten, hier heisst es sorgfältig abwiegen, ohne dabei allzu weit von der Linie abzuweichen. Was die Türkei betrifft, Czarnowska gibt sich bedeckt. Dazu die Frage der gemeinsamen Aussenpolitik. Irgendwann werden wir uns entscheiden müssen, die NATO kann durchaus eine Ergänzung vertragen, das geht sich aus.
Europäische Republik: Weit gefehlt!
Nationalismen prägen das Tagesgeschehen. Das lässt erkennen, dass die Mitglieder wenig bis gar keine Bereitschaft entwickeln, bewährte Pfründe oder gar Macht an Brüssel abzugeben. Das mit der Harmonisierung ist überhaupt die Kernaufgabe, nur sollten wir vorher abklären, welchen Weg wir gehen wollen. Ravioli und Espresso alleine sind zu wenig, es geht um Werte. Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit, dazu soziale Standards, Partizipation, Demokratie und Chancengleichheit. Doch halt: Sind das nicht auch globale Werte? Und ja: Wir glauben an die Demokratie!
Fotos: Europa : DIALOG / Katharina Schiffl Text: Thomas Winkler |