Europa : DIALOG mit …Karl Aiginger
„Europa ist für mich ein Erfolgsprojekt in der Midlife-Crises. Es ist bedroht im Inneren durch Populismus und Renationalisierung, extern wollen die USA und Russland Länder aus der EU herausbrechen, China kauft sich Einfluss und Rohstoffe. Eine Vision muss im Europawahlkampf sichtbar werden, um Jugend und Zivilgesellschaft wieder für eine Europäische Zukunft zu begeistern.“ (K. Aiginger)
WIFO-Kultfigur. Wirtschaftsforscher. Querdenker. Der quirlige Direktor und Gründer der Denkfabrik zu Gast bei Benedikt Weingartner, um seine Sicht der Dinge zu präsentieren. Es ist der 75. Abend der bereits kultigen Gesprächsreihe, das Haus der Europäischen Union in Wien ist gefüllt bis auf den letzten Platz. Der Dialog verspricht Spannung. Wie steht es wirklich um unser Europa? Wie können wir die Hindernisse umschiffen? Droht eine neue Krise? Wie geht es mit dem Brexit weiter?
Querdenken schafft neue Ansätze
Die Kommunikationsplattform ist ein etablierter Treff für Neugierige Europäer, die etwas bewegen wollen. Akademiker, Intellektuelle, Visionäre. Neue Ansätze liefern neue Perspektiven für bekannte Probleme. Umweltpolitik. Nachhaltigkeit. Afrika. Die Themen sind vielseitig. Die Chancen auch. Es geht um Win-Win. Anders ist das Rennen nicht zu gewinnen. Nur Deals auf Augenhöhe haben eine Chance, sonst landen wir in der Sackgasse. Populismus, Putin und Trump als erklärte Feinde Europas verursachen Kopfweh, dazu der Brexit. Da hilft nur bedingungsloser Zusammenhalt. Die nahende Europawahl jedenfalls könnte die lang erhofft Wende bringen.
Offiziell inoffiziell: Halbwahrheiten haben Saison!
Aufkommender Populismus ist das Resultat politischer Fehlentwicklungen. Es gibt Dinge, die anders sind als der Bevölkerung aufgetischt wird, viel wird unter den Tisch gekehrt. Die Verantwortlichen sagen nicht alles, das war immer so. Nur: Blöd sind wir nicht. Das Wort unterbelichtet hängt im Raum, der rechte Flügel boomt. Und das ärgert die konservative Schicht. Arbeitslosigkeit. Wirtschaftslage. Kontrolle. Nicht zuletzt Werte. Es gibt viele Unsicherheiten aber wenig ‚Aufstiegschancen. Die Jugend trifft es besonders, hier fehlt es vielfach an Perspektiven. Populismus scheint der einzige Ausweg, mangels Alternativen. Oder agieren die Verantwortlichen nur einfach ungeschickt? Die Generation Sesselkleber gerät an den Pranger, so jedenfalls scheint es. Probleme gibt`s überall, doch die Geschehnisse wirken krass: Gut und Böse liefern einen unerbittlichen Kampf. Feindbilder werden geschürt. Es sind triviale Botschaften, die wir hören.
Brüssel ist schuld …
Genug lamentiert. So kommen wir nicht weiter, findet Aiginger. Der Drang zur Mitte scheint angebracht. Die „Liste des Bösen“ ist lang. Der Trump steht oben. Die Freiheitlichen übrigens auch. Die wirtschaftliche Dynamik ist mies, das gilt in ganz Europa. Die Arbeitslosigkeit steigt. OK, das wissen wir bereits. Stagnation ist erkennbar, zur Rezession ist es nicht weit. So jedenfalls scheint es. Die Regionalpolitik kriegt mächtig was ab, 20% Rückläufigkeit der Bevölkerung sind ein Desaster. Da geht was schief. Geht`s uns gar zu gut? Die Lebenserwartung steigt und steigt, wir werden dicker. Grenzen dicht als Ausweg, der Klimawandel ist eine Erfindung. Trump ist allmächtig. Autsch. Das wird nichts. Bleibt Erasmus der einzige Lichtblick in der Geschichte Europas?
Globalisierung als Chance!
Neue Märkte bedeuten neue Chancen. Verlierer mitnehmen ist die Devise – es braucht Perspektiven sprich Qualifikation, nur mit Bildung kommen wir raus aus dem Teufelskreis. Da sind die Verantwortlichen auf nationaler Ebene dran, hier braucht es endlich Bewegung und Umdenken, sonst überholen uns die Chinesen. Traditionelle Mechanismen haben ausgedient, sonst fahren wir morgen noch im Kreis. Was den Brexit betrifft, der Ärger geht ausgerechnet von den Parlamentariern im Unterhaus aus. Bottom-up Politik ist angesagt, nur so kann es gehen, auch wenn`s weh tut, so Aiginger. In der EU gibt es rund 70 Handelsabkommen, und die Standards müssen rauf. Es braucht die Zustimmung der Mitglieder, es geht um Wettbewerbsfähigkeit. Niedere Kosten bedeuten niedere Löhne, wir verbauen uns die Zukunft, wenn wir nicht umdenken. Vielleicht sollten wir in die Strukturen der Politik eingreifen, als Problemlöser, es geht schliesslich um unsere Standards. Querdenken ist eine feine Sache, nur: Es darf nicht bei der Theorie alleine bleiben. Aiginger fordert vehement und ganz konkret Strukturreformen, Qualifikation und Innovation.
Lohndumping schafft Armut
Soziale Standards abbauen ist der falsche Weg, speziell über Handelsabkommen. Aiginger vermisst Nachhaltigkeit, er nimmt J.C. Juncker ins Visier. Weingartner ist entrüstet, das Publikum tobt. Ökologie ist gefragt und nicht erkennbar, dazu bräuchte der Chef eine weitere Amtsperiode. Mangelnde Strukturreformen, mangelnde Nachhaltigkeit, der Querdenker vermisst Innovation. In Griechenland gibt`s so gut wie keine Industriecluster, es gibt kaum Lebensmittelsicherheit. Autsch. Hat Juncker zu hoch gepokert? Leere Versprechen hallen durch den Äther, von wegen komplette Dekarbonisierung. So schnell wird der Kontinent nicht emissionsfrei sein, das dauert. Die Klimaziele sind in weiter Ferne, es bräuchte ein Bündel an Reformen, auch in der Industrie. Nur die Autofahrer gängeln kann`s nicht sein, dazu die sozialen Probleme.
Höchster Steuersatz der Welt
Was das Kassieren von Steuern betrifft, sind wir Weltmeister. Die Wettbewerbsfähigkeit leidet, der Bürger stöhnt. Die Konzerne richten es sich, das geht auf die Substanz. Nationale Steuern müssen runter, Europa braucht mehr Budget. Generell haben wir nichts gegen die Bundesregierung, so Weingartner. Den Faktor Arbeit so irrwitzig zu besteuern hat uns ausgebremst, die Einkommenssteuer ist zu hoch. Aiginger fordert Umdenken. Emissionen und Vermögen, hier könnte angesetzt werden. Vielleicht sollte überhaupt mehr gespart werden in der Verwaltung?
Agrarförderung: Zum Mäusemelken …
Die europäischen Agrarförderungen verursachen reichlich Probleme, wer viel Fläche hat kriegt was, Lobbyisten bringen die Drehtüren zum Qualmen. Wir exportieren nach Afrika. Mit dem Geld aus Brüssel. Blöd nur, dass die Afrikaner nicht ganz dumm sind. Es fehlt an Augenhöhe. Die Rüffel gehen an unsere Elite, wir brauchen Reformen, vielleicht ein gemeinsames Euro-Budget und geeignetes Leadership. Menschen wollen nicht dauerhaft abhängig sein, sondern das Umfeld selbst gestalten. Doch bis sich das rumspricht dürfte es noch dauern. Von einem besseren Europa jedenfalls sind wir weit entfernt. Die Botschaft lautet: Geht`s zur Wahl. Sonst wird`s nix.
Fotos: Europa DIALOG / Gabriel Alarcon Text: Thomas Winkler
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