Europa : DIALOG mit ...Jörg Wojahn
„Europa ist für mich der vorläufige Sieg der Vernunft über die instrumentalisierte Emotion Nationalismus.“ ( J. Wojahn )
Wien. Haus der Europäischen Union. Die 7. Staffel der Serie Europa : DIALOG startet. Es ist der 50. Abend mit Benedikt Weingartner in dessen mittlerweile kultigen Dialogserie rund um das mitunter recht kantige Projekt Europa. Jörg Wojahn, der aktuelle Hausherr und Vertreter der Europäischen Kommission in Wien, erörtert die aktuellen Chancen und Trends, Krisenherde und Tendenzen. Flüchtlinge, Weissbuch und das 6. Szenario Junckers lassen die Neuausrichtung des Friedensprojekts als einzig sinnvolle Antwort auf die unzähligen drängenden Fragen erscheinen. Angst haben reicht nicht, es braucht Taten. Ob die Dinge besser werden, wenn die Briten draussen sind?
Nägel mit Köpfen: Juncker und das Weissbuch
Die Dissonanzen der Vergangenheit haben die Wirkung einer eiskalten Dusche: Farbe bekennen ist angebracht, es braucht Konsequenz: Die Dynamik des Konstrukts Europa verlangt Flexibilität, die bis zu den Benchmarks reicht. Umso unverständlicher ist die teils recht knöcherne Position einzelner Nationen sprich deren Vertreter, die es auf die Rosinen abgesehen haben. Brüssel will. Brüssel muss. Wenn`s brennt rufen wir Brüssel um Hilfe. Nein, so geht das nicht. Einige der Mitglieder haben die Idee Europa nach wie vor nicht verstanden. Das Schlimmste dürfte zwar überstanden sein, die Umfragen lassen erstmals wieder Optimismus erkennen. Es geht um neue Wege, die gemeinsam gefunden werden und mit entsprechender Konsequenz umgesetzt werden wollen. Doch wie soll das gehen?
Das Machtdreieck
Vorschläge der Kommission. Abstimmungen. Minister. Dazwischen Lobbyisten. Doch wie bringt man wirklich gute Ideen nach oben? Die Kommissare als „Augen und Ohren“ der Kommission sind nur eine Schnittstelle zwischen Mitgliedstaaten und der Zentrale. Die Entscheidungsfindung ist ein komplexe Sache, zumal das Konstrukt auf Kurs gehalten muss. Es braucht Leadership und Verantwortung: Die Kommission als Hüter der Verträge hält Europa zusammen. Die Herausforderung liegt darin, die Zügel ausreichend straff zu halten und dennoch ausreichend Spielraum für Entwicklungen im Sinne des Fortschritts zu ermöglichen, zumal einige Staaten etwas stärkere Führung fordern. Fest steht: Szenario 6 bedeutet Freiheit. Drei Punkte stehen im Vordergrund: Freiheit. Gleichberechtigung. Und Rechtsstaatlichkeit. Klingt einfach?
Der Osten: Differenzen ohne Ende
Menschenrechte sind unantastbar. Das steht fest. Umso wichtiger ist die konsequente Durchsetzung der Gesetze, speziell was Menschenrechte betrifft, denn gerade hier sind reichlich Verfehlungen erkennbar. Heilende Worte ziehen nicht immer, da braucht es schon mal Klartext. Ein Europa der zwei Klassen ist nicht vorgesehen. Gleichheit als oberstes Ziel braucht etwas Augenmass, es ist nicht einfach, Solidarität und Individualität unter einen Hut zu bringen. Alle in den Euro wäre eine feine Sache, doch hier hätte es wohl einen anderen Ansatz gebraucht. Immerhin, die Bedingungen sind klar definiert, ebenso das Ziel. Wer nicht so weit ist, dass er mithalten kann, dem wird geholfen, die Vorgaben müssen erfüllt werden. Bis die Differenzen Ost-West eliminiert sind wird es wohl noch dauern, die politischen Schlaglöcher verursachen Turbulenzen: Warum machen die Staaten die Hausaufgaben nicht? Wojahn spricht von der europäischen Kompromissmaschine, und hofft auch Verständnis und Toleranz, doch wie es aussieht, braucht es vereinzelt etwas stärkere Durchsetzung, um einzelnen Hitzköpfen die fällige Abkühlung zu verschaffen.
Wir sind Botschafter für Europa!
Das Projekt Europa hat mittlerweile einen fixen Platz im Bildungssystem. Der Minister zum Angreifen ist eine feine Sache, Kommissäre und Delegierte widmen sich verstärkt der wichtigen Jugendarbeit. Doch es braucht Multiplikatoren: Wir alle sind Botschafter für Europa, soll heissen: Das Projekt Europa soll gelebt werden. Landtag und Gemeinderat haben mehr Streetcredibility als der fleissigste Delegierte aus Brüssel. Auf Du und Du mit Europa – das kann doch nicht so schwer sein. Nehmen wir die EU allen Errungenschaften gar als selbstredend hin? Wojahn erinnert an die Kaiserzeit. Schön war`s. K & K und Flutsch: Und weg war`s. Das geht schnell. Europabewusstsein ist mehr als nur eine Tugend.
Kommission: Visionäre als Vordenker
Die Sache mit den Flüchtlingen hat die Kommission schon lange geahnt. Konzepte wurden präsentiert, doch wies es so ist: Der Prophet gilt nichts, im eigenen Europa. Es gab Hiebe. Und erst jetzt, mit reichlich Gerangel um Souveränität und Pfründe, hat die kollektive Einsicht begonnen, nachdem die Situation zu eskalieren drohte. Der Paradigmenwechsel hat eingesetzt, rein theoretisch. Doch es fehlt an Taten einzelner Staaten, die in vielen Belangen säumig sind und blockieren. Immerhin, die Schockstarre ist überwunden, Euphorie wird wieder erkennbar. Dennoch: Ungarn und Polen ernten Kritik. Geld abholen ohne Gegenleistung geht nicht, und britische Verhältnisse muss man sich leisten können. Solidarität kann man nicht abschaffen, ein Aufstand der Nettozahler ist das letzte, was Europa braucht. Was die Zukunft betrifft: Jörg Wojahn hofft auf eine stabile Pro-Europäische Bundesregierung und dass Österreich aus dem Schneckenhaus kommt und wieder vorne dabei ist. Think Big ist angesagt.
Text & Fotos: © Thomas Winkler |