Europa : DIALOG plus mit …
Wolfgang Böhm (Die Presse)Siabhan Geets (Wiener Zeitung)Raimund Löw (Falter)Doris Vettermann (Die Krone)
… moderiert von Benedikt Weingartner
Mit Raimund Löw hat es begonnen: Es war 2014, als Benedikt Weingartner die mittlerweile kultige Serie Europa : DIALOG ins Leben rief. Heute ist er wieder da. Raimund Löw, gemeinsam mit einer Runde weiterer kompetenter Journalisten. Wie sehen sie den Umbruch in Österreich? Und wie geht es in Europa weiter? Ibiza-Gate und der Regierungssturz haben tiefe Spuren hinterlassen. Überhaupt, es scheint, als liege die EU-Wahl weit zurück. Wir haben eine neue Regierung, nur die Themen sind unverändert. Jetzt sind Experten am Werk. Was dürfen wir erwarten? Was steht uns bevor?
Rechtsnationalisten verursachen Kopfweh
Themenlastig durch und durch. Während üblicherweise politisches Kleingeld gemacht wird, ging es diesmal um Themen und Ansätze. Der Durchmarsch des rechten Flügels blieb aus, so Raimund Löw. Zur Sorge jedoch reicht`s allemal. Frankreich, Italien und bei den Briten, dort waren sie auffällig stark. Hierzulande ging`s weniger gut, der Schuss ins eigene Knie hat die Wirkung nicht verfehlt. Der selbsternannte Russlandspezialist hat ganze Arbeit geleistet. Generell ist jetzt alles offen, zuhause wie in Brüssel, eine Renationalisierung zeichnet sich ab. Die Mitgliedstaaten entscheiden, wie es weiter geht. Reformen werden schwierig. Der Postenschacher hat begonnen, die wichtigsten Positionen sind zu vergeben.
Splittergruppen versus Koalition
Die Ära der grossen Koalition ist vorbei. Machtgelüste haben die Vernunft besiegt, jetzt braucht es Allianzen, um etwas zu bewegen. So Wolfgang Böhm. Die Zersplitterung ist eine enorme Herausforderung, in diesem Punkt herrscht Einigkeit. Die Balkanisierung des EU-Parlaments wirkt bedrohlich, zentrifugale Tendenzen sind nicht zu übersehen, so Raimund Löw. Die Achse schwächelt, die Entscheidungsfindig ist entsprechend komplex. Leicht ist gar nix. Die Rede ist von einer Kernschmelze im Parteiensystem. Die Machtspiele haben ihre Wirkung nicht verfehlt. Der Schuss ging eben mal nach hinten los. Es braucht eine starke Führung, die Wiederbelebung der Achse wäre eine durchaus sinnvolle Angelegenheit, auch wenn Berlin merklich schwächelt. Doch auch Macron scheint nachzulassen.
Keine Einigkeit erkennbar!
Die Zersplitterung erfordert neue Allianzen, um zumindest in einzelnen Belangen Fortschritte zu erzielen, sonst herrscht Stillstand. Das System der Spitzenkandidaten scheint gescheitert, dazu das Gewurstel um die Posten. Die EZB ist dabei besonders beliebt, doch Frau Merkel ist müde. Von österreichischer Seite ist Zurückhaltung erkennbar, es fehlt an Drive. Verwalten ist angesagt. Das macht die Notwendigkeit einer Koalition erkennbar, überhaupt: Die Spitzenkandidaten hätten verstärkt in den Wahlkampf eingebunden werden müssen. So Löw. Es scheint ein Kommunikationsproblem zu geben, da und dort. Die vertraglichen Grundlagen jedoch lassen nur wenig Spielraum, es hätte früher und wesentlich gezielter agiert werden müssen. Die Achsen Ost-West und Nord-Süd jedenfalls lassen reichlich Spannung vermuten. Das wird nicht einfach.
Zoff auf der Insel
Die Briten sind zerstritten, Boris Johnson lügt wie gedruckt. Der Mini-Trump liebt Drohgebärden. Unberechenbarkeit ist sein Markenzeichen. In der Runde kommt er nicht gut weg. Brüssel ist entspannt. Es wird nicht nochmals verhandelt. Alles ist möglich, nix ist fix. So Siobhan Geets über die Lage auf der Insel. Das verspricht Spannung. Nur gegen etwas zu sein ist keine gute Lösung, doch das müssen die schrulligen Insulaner erst lernen. Kommt ein zweites Referendum, wird es sicher anders formuliert. Populismus hat die Ehrlichkeit übermannt. Das dicke Ende kommt noch. Auch hier: Innenpolitische Zwistigkeiten haben Chaos verursacht.
Österreich: Einfach nur „Autsch“!!!
Die Ereignisse der vergangenen Wochen geben zu denken. Es dringt nicht alles durch, da liegen Leichen im Keller, wie es scheint. Zumindest beim Ibiza-Video. Dazu die kaum zu verbergende „Wadlbeisserei“ : Das leidige Rechts / Links-Gerangel hat die Nation ins Rampenlicht gebracht. Die Wähler sind nicht dumm. Ein Trump kann machen was er will, kaum einer ist ihm böse, trotz latenter Widersprüche. Ähnlich ist es bei der FPÖ, da wird alles toleriert. Die irrationalen Vorstellungen jedoch sind destruktiv, so geht`s nicht. Und das gilt für rund ein Drittel der Wähler.
Zack-Zack. Weg war er!
Leser beschwichtigen. Ex-Vize HC Strache in der Opferrolle. Social Media ist seine neue Bühne, die Krone-Redakteurin Doris Vettermann hat noch immer ihren Job. Wie andere KollegInnen auch. Kein Zack-Zack-Spiel in der Redaktion. So gross ist sein Einfluss nicht. Applaus im Saal. Viele Leser wollen gar nicht genau wissen, was abgeht. Die Fettnäpfchentreterei ist mühsam. Doch bis das zu den jeweiligen Köpfen durchdringt, dürfte es noch dauern. Da herrscht Einigkeit in der Journalistenrunde. Die Krone bleibt wie sie ist, manche Leser sind nur bereits abgestumpft, die Schönfärberei steht am Pranger. Der Angriff auf die Pressefreiheit war gar nicht gut. Das Misstrauen gegen die klassischen Medien nimmt zu, gezielte Fehlinfos sind an der Tagesordnung. Es geht um Schlagzeilen und Leser. Und ums Geld. Der Leser kann nur schwer entscheiden, was Sache ist. Journalismus ist mir Verantwortung verbunden. Entsprechend heftig ist die Kritik an der Yellow Press, da wie dort.
Lügenpresse gefährdet Demokratie
Populismus ist ebenso eine Gefahr wie Fake-News. Die Abstrafung der nationalen Fehlentscheidungen erfolgt auf europäischer Ebene, doch hier trifft es die Falschen. Das liegt daran, dass zu wenig Menschen wissen, wie Brüssel funktioniert. Entsprechend die Frage: Muss man Europa verstehen? Ja, denn nur dann geschieht das, was man eigentlich will. Soll heissen: Es fehlen erklärende Elemente in vielen Berichten, so Böhm. Löw wiederum vertritt die Ansicht, dass es auch Sache der Parteien ist, angemessen zu informieren. Es braucht Aufklärungsarbeit und Bewusstseinsbildung über Brüssel, der Vorwurf an die Parteien ist nicht zu überhören. Nun ja, das wäre sicher besser als die übliche Wadlbeisserei, von der bereits ALLE genug haben. Es geht um Vertrauen, der Konsens ist vorbei. Die Warnzeichen sind kaum zu übersehen.
Es brennt rundum … und lichterloh …
Die Macht haben Nationalstaaten und Regierungschefs. Der Brexit ist eine Krise per se. Dazu der Nahe Osten. Es droht Ungemacht. Die Pommes-Verordnung war eine Lachnummer für sich, nur wettern gegen Brüssel geht nicht. Eine integrative EU-Politik ist nicht erkennbar, das Verwirrspiel ist mühsam. Demos und Korruption in Rumänien, jedoch unter europäischer Flagge. Wenn`s hakt ruft man in Brüssel an. Der Klassiker. Es braucht nationales Engagement und innenpolitische Korrekturen da wie dort, in Rumänien wie auch in Österreich, das Fundament ist nicht unendlich belastbar. Überhaupt, es soll Menschen geben, die eine Zeit gebraucht haben, bis sie mit Brüssel was anfangen konnten. Dazu gehört auch Werner Faymann, der sehr, sehr lange brauchte, bis er sich zur EU bekannte.
Werner Kogler: RELOADED?
Einer hätte ein EU-Mandat und geht nicht hin, aus Scham. Kogler bleibt zuhause in der Alpenrepublik. Allein und aus Überzeugung, eben ganz freiwillig. Nach einem fulminanten Wahlkampf hat er beschlossen, die Grünen im eigenen Land wieder salonfähig zu machen und im Parlament zu etablieren. Doris Vettermann lobt sein aussergewöhnliches Bühnentalent, er gilt als der Kommunikator schlechthin. Da kommt keiner mit. Der stärkste Kandidat wird recycled, so die eher respektlose Bezeichnung einer an sich skurrilen Situation. Grüne Themen zur rechten Zeit, dazu eine zerstrittene Koalition, ein gestrauchelter Vize und dazwischen Kogler, der es allen zeigt.
FAQs: Österreich am Abstellgleis?
Das Ibiza-Desaster ist fatal für Österreich. Der Vertrauensverlust geht ins Unendliche, es trifft nicht nur die FPÖ, es trifft uns alle. Lob für die Stärke der Zivilgesellschaft, der Sprung in den Fettnapf blieb nicht ungestraft. Wenn die ÖVP wieder mit der FPÖ ins Bett geht gibt`s reichlich Spott, das steht fest, und mit Kickl will auch keiner mehr so recht. Es herrscht selten Einigkeit in der Runde, auch wenn die Vergesslichkeit der Bevölkerung ausgeprägt ist und selbst gröbere Fehltritte unter dem Mantel des Vergessens begraben werden, was vielleicht auch daran liegt, dass pausenlos irgendwas daneben geht. Immerhin, die Schreiber schreiben was sie wollen, es fehlt an Lichtgestalten am Kontinent. Europa braucht neue Strukturen, derzeit herrscht Krisenmodus.
Vertrauen und Stabilität rückläufig …
Der Umgang mit Rechtspopulisten sollte an vorderster Stelle stehen. Die drohende Klimakatastrophe kann nicht länger warten, es braucht Klarheit und eine klare Aussenpolitik. Das internationale System gewinnt an Instabilität, der Iran mutiert zum Pulverfass, speziell wen Trump im Spiel ist. Dazu kommt die drohende Balkanisierung, die Menschen zuhause sind sauer. Das Thema Brexit ist brisant wie nie zuvor, die Konflikte mehren sich. Wo bitte sind die versprochenen Reformen??? Text & Fotos: Thomas Winkler |