Europa : DIALOG mit …Tim Cupal
„Europa ist für mich Traumhaus und ewige Baustelle.“ (T.Cupal)
Einigkeit in Brüssel? Ist die Krise überstanden? Es war gleich nach dem Treffen rund um den Brexit, als Ratspräsident Tusk Einigkeit demonstriert hat. Ist alles wieder gut? Von wegen. Alles Show. So Tim Cupal, Brüssel-Insider. Von wegen Friede, Freude, Eierkuchen. Die Kräfte, die auf die Union wirken, sind höchst unterschiedlich. Polen meckert wegen Umweltschutz. Deutschland und Österreich lamentieren in Sachen Arbeitsrecht. Zentraleuropa wiederum kann dem Thema Flüchtlinge nur wenig abgewinnen. Von wegen, die Krise ist vorbei. Es scheint, als gehen die Turbulenzen erst richtig los. Fest steht: Es kann nur Verlierer geben. Theresa May ist eine harte Nuss. Die Anfangseuphorie rund um den Brexit hat sich gelegt. Und jetzt?
Brexit: Gut für die Anwälte!
Das Meeting Juncker / May war ein Desaster. Zwei starke Persönlichkeiten vertreten zwei höchst unterschiedliche Meinungen. Autsch. Ein Exempel statuieren hier. Rosinenernte auf der anderen Seite. Von wegen, die störrischen Insulaner werden die Konsequenzen akzeptieren müssen, mit allen Nebenwirkungen. Denn: Wer nicht im „Club“ ist, wird es draussen nicht besser haben. Das geht gar nicht. Das Verhandlungskonzept der Kommission ist leicht verständlich: Erst die Scheidung. Es geht um „Kinder und Geld“. Dann die Zukunft. Bildlich und leicht verständlich gesprochen. 3,5 Millionen Briten in der EU, offene Forderungen und Commitments, Anteile hier, dazu eine Zahl: 60 Milliarden Euro. Und keinen Kommentar, was diesen Betrag betrifft. Fest steht: Die Briten wollen nichts mehr zahlen. Fragen eröffnen neue Fragen. Konstant ist nichts. Die Variablen sind unberechenbarer denn je. 20 Tausende EU-Regeln, von Irland und Nachbar Nordirland reden wir erst gar nicht. Brüssel hat ein Ass im Ärmel: Die Zukunft. Und da wird es eng für die Briten. Denn diese wollen parallel verhandeln.
Umschichtungen zu erwarten
Sechs Milliarden weniger im Börsel. So die Bilanz nach dem Austritt der Briten. Das bedeutet Umschichtungen. Dazu ein politisch mitunter gespaltener Wille. Die Briten haben sich selbst aus dem Spiel geschossen, das steht fest. Das latente EU-Bashing hat Früchte getragen. Hurra! Wir fahren an die Wand. Und aus. Das Ergebnis ist für viele Briten das Ende der Lebemsplanung, so Tim Cupal. Die langen Gesichter der Briten scheinen ihm Recht zu geben. Doch wie geht es weiter? Vorweg: Das Weissbuch mit 5 Szenarien ist ein sehr theoretisches Konstrukt, und angesichts der unzähligen Krisen bleibt kaum Zeit für eine ernsthafte Diskussion. Zu viele Herausforderungen dominieren den Alltag. Nur so viel: Das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten haben wir bereits. Also weiterwursteln?
Tim Cupal: Kein Universalrezept für Europa!
An sich ist das Konstrukt Europa ein ziemlich demokratisches Gebilde. Die Minister verhandeln, was wir gewählt haben. Warum also Bashing? Jedes Land hat die Regierung, die es gewählt hat. Sollten wir hier ansetzen? Und: Warum sind unsere Politiker so vergesslich? Spätestens am Rückflug sind Beschlüsse und tolle Reden vergessen, ja, genau: Es geht ums Stimmvieh. Da ist alles anders. Zuhause. Und Erdogan? Die Türkei ist nicht der Lakai Europas. Was meint er damit? Gute Nachbarn Böse Nachbarn. Es scheint, als will uns Erdogan den Schwarzen Peter unterjubeln. Er provoziert wo`s nur geht. Österreich ist, was die Beitrittsverhandlungen betrifft, ziemlich isoliert. Also doch weiter reden, bis die Türkei drauf pfeift? Unser Kurz ist zu schwach, so scheint es. Bestimmen tun die Anderen, die etwas zu sagen haben. Immerhin: Österreich ist immer für einen „Sager“ gut, so Cupal. Ob Faymanns Tanz um Merkel oder andere lustige Texte, wir sind zumindest im Gespräch, so scheint es. Das klingt nach Unterhaltungswert. Für „die dort oben, in Brüssel“. Autsch. Während die Skandinavier konsequent europäisch sind, und auch die Balten, ist in der Region der ehemaligen Monarchie eine gewisse Vergesslichkeit an der Tagesordnung, ähnlich übrigens wie auch bei Orban, dem kleinen Diktator. Tim Cupal lacht. Applaus im Publikum.
Und Mutti Merkel???
Die längst dienende Regierungschefin hat Stehvermögen. Es sind Frankreich und Deutschland, die Europa steuern, auch Italien spielt mit. Die Le Pen wäre zwar nicht das Ende Europas, aber doch ein schwerer Schlag, überhaupt: Wir sind nur ein ganz kleiner Teil der grossen Welt. Und wenn wir nicht zusammenhalten, sind wir sehr bald sehr unbedeutend. Die Miesmacherei der Union nervt, das steht fest. Das beweist auch die neue Pro Europa Strömung. Die Erkenntnis der Bürger zählt mehr als jede noch so tolle Rede des Präsidenten, so Cupal, kommunizieren ist schwierig. Er sieht es als seine Aufgabe, die Ereignisse in Brüssel verständlich zu machen. Lob für die Top-Experten der Kommission, die leider nur schwer verständlich sind, die bringen die PS nicht auf die Strasse. Trotz aller Bemühungen. Was wiederum eine Erklärung dafür ist, dass Europa irgendwie nicht ankommt, die Idee hinter dem Projekt ist dadurch leider nur sehr schemenhaft erkennbar. Die Schräglage ist bedenklich.
Menschen brauchen Perspektiven
Nachteile werden ausgeblendet, Vorteile treten nur diffus ans Licht. Staus und 2 Weltkriege prägen die Vergangenheit. Es braucht Licht, Visionen. Perspektiven! Erasmus ist eine feine Sache, die Welt geht weiter hinter dem Berg, doch Nord-Süd und Ost-West trennt ein Gefälle. Griechenland ist noch lange nicht erledigt, kommt der Schuldenschnitt? Das Europa der unterschiedlichen Geschwindigkeiten bringt Turbulenzen, es scheint, als driften wir weiter auseinander. Beschlüsse werden gefasst, nur: Diese müssen auch umgesetzt werden, und genau hier hakt es mächtig, der europäische Gedanke gibt ernsthaft zu denken, denn er hat Schräglage. Die Gemeinsamkeit stösst an ihre Grenzen, wenn`s um die Penunze geht. Doch da Krisen zugleich Chancen sind, haben wir im Moment jede Menge Möglichkeiten?!
Wirtschaftsunion. Sozialunion?
Die Idee ist gut, die Praxis trist: Der Sozialtourismus steht vor dem Ende. Es braucht Mindeststandards, in vielen Belangen. Überhaupt, die Nationalstaaten sind wesentlich starrer als Brüssel, Lob für die Führungsriege der Union. Die Kommission ist der stärkste Trumpf, den wir haben. Auch wenn Brüssel eine Baustelle ist, der Fortschritt ist messbar. Das müssen auch die Neider erkennen. Die Transparenz hat Vorbildfunktion, die „Softpower“ der Technokraten hat enormes Drehmoment. Eine geschlossene Linie würde stärken, das könnten wir gut gebrauchen, zumal Putin um Destabilisierung bemüht ist, wie Tim Cupal durchblicken lässt. Auch wenn die einen raus wollen, so bleibt Europa das Projekt, das wir gemeinsam betreiben. Vielleicht steckt Europa in der Pubertät. Der Weg zum Traumhaus ist steinig.
Fotos: Europäische Kommission / Helga Auer Text: Thomas Winkler |