Europa : DIALOG mit …Thomas Seifert
„Europa ist für mich Hoffnung. Hoffnung darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger weiterhin Grenzen überwinden, anstatt neue Grenzen zu ziehen. Hoffnung darauf, dass die Bürgerinnen und Bürger den europäischen Traum verteidigen.“ (T. Seifert)
Europa ist manisch-depressiv. So das Statement über die aktuelle Stimmung. Die Wahlen in Frankreich und der Brexit haben Untergangsstimmung gebracht, in Russland gibt`s Demos. Trump ist der nächste Aufreger. Was passiert mir, wenn ich etwas nicht habe? Wenn es nicht mehr wäre? Seifert, Stv. Chefredakteur und Europa-Spezialist der Wiener Zeitung, hat so sein Theorie. Für Österreich wäre es schwierig, hätten wir keine EU. Zu Tode betrübt nach dem Brexit, „High“ nach Macron. Sind wir noch zu retten?
1989: Alle Menschen werden Brüder?
1989 rückt Europa näher zusammen. Auch wenn wir die Geschichte kennen, wir haben sie vergessen, so Seifert. Grenzöffnung. Der Goldene Westen wird greifbar, für den Osten. Reisefreiheit. Osteuropäer werden Europäer. Europa rückt zusammen. Der Brexit könnte den Zenit markieren, so Benedikt Weingartner. Griechenland jedenfalls ist der Sündenfall Europas, so Seifert. Die Banken haben die Krise verursacht, sie haben die Lage falsch eingeschätzt. Die Kritik ist heftig. Der Bürger hat Pech. Er zahlt die Rechnung. Und das ist nicht einzusehen, so Seifert. Die Kommission hat sich in die Rolle des Gerichtsvollziehers drängen lassen. Eigentlich gehören die Banken gerupft, ganze Abteilungen und Vorstände ausgetauscht. Einfach Tschüss mit Ü, so Seifert. Wörtlich. Vielleicht kommt die Botschaft an.
Kritik von Links. Und Rechts!
Die Gründung der AfD ist ein Erosionsprozess. Schelte für Schäuble, die Banken müssen zur Raison gebracht werden. Was Arbeitslosigkeit betrifft, in Griechenland ist politisches Kapital versickert. Der Agrarbereich in Osteuropa ist ähnlich dürr, und was Digitalisierung betrifft: Seifert bezeichnet die Bemühungen als Retroveranstaltung. Fortschritt sieht anders aus. Innovation bleibt auf der Strecke. Die wahren Abenteuer spielen nur im Kopf. Es fällt der Begriff der „Scheintechnologie“, irgendwie hängen wir in einer Zeitschleife. Lob für den heimischen Agrarbereich und die frische Butter auf unseren Almen. Seifert mag Bio. Das mit der Technologie scheint nicht zu klappen in den heimischen Gefilden. Das Weizenfeld bekommen wir noch auf die Reihe, dann stehen wir an. So Seifert.
Andere Länder. Andere Sitten. Andere Ziele!
Die Solidarität macht sichtlich Sorgen. Die Hoffnung ist stärker als der Glaube, dass es besser wird. Österreich ist ein kleines Land, vergleichbar mit Zentralpeking. Wir sind zu klein, um die Welt zu bewegen. Die Chinesen sind an Deutschland interessiert, der Rest ist egal. Europa ist eine sehr regionale Macht. Entsprechend wichtig wäre Gemeinsamkeit. Es braucht nämlich ziemlich viel Europa, um mitzumischen. Wien war um 1900 das europäische Silicon Valley der Kultur. Das intellektuelle Mekka Europas. Die Elite belegte die Uni in Wien. Schön war`s in der Kaiserzeit, die Monarchie hatte was für sich. Nur: Plötzlich war sie weg, die gute alte Zeit. Heute sind wir vernetzt. Alles andere zählt nicht mehr. Wir vernachlässigen die Nachbarn, das könnte sich bitter rächen. N-Afrika, den Libanon. Saudi-Arabien! Was rund ums Mittelmeer und die Adria passiert, es betrifft auch uns. Irgendwie fehlt das Europa-Bewusstsein. Von Europakompetenz sind wir weit meilenweit entfernt.
Kritik an Medienlandschaft
Der Boulevard kann mit Europa nichts anfangen. Es fehlt an Diskussionskultur. Immerhin, wir haben bessere Akteure als zuletzt mit Faymann / Spindelegger. Ob wir damit auch bessere Karten haben wird sich weisen. Generell: Die Voraussetzungen sind gut, um mitzuspielen. Europa hat geographisch gesehen eine Toplage. Das Klima passt. Das ideologische sollten wir auch noch auf die Reihe bekommen. Irgendwann. Bevor es zu spät ist. Die Standardaussage „Brüssel muss ...“ kann keiner mehr hören, auch die Donaumonarchie ist an Nationalismen zerbrochen. So Seifert. Die Berater des Kaisers waren nicht die perfekt, wie die Geschichte beweist. Oder sind die zahlreichen „Irrtümer“ auf eine angelaufene Glaskugel zurück zu führen?
Unsere Chance: Hoffnung?
Wir. Du. Ich! … das zieht nicht mehr. Wie geht`s der europäischen Jugend? Wie sieht er aus, der europäische Traum? Das Schlüsselwort ist Kultur. Wir haben ein imposantes kulturelles Erbe zu bewahren. Daneben der Wohlfahrtsstaat, um den wir beneidet werden und der wie auf viele Menschen wie ein Magnet wirkt. Ach ja, und dann wäre der Umgang miteinander. Doch gerade in diesem Punkt geraten die Dinge bereits merklich aus den Fugen. Glaubt an Europa, so der gut gemeinte Ratschlag des Europa-Spezialisten. Die Jugend, so eben dieser, ist privilegiert, kreativ und agiert frei. Die agilen Mitfünfziger sind das eigentliche Problem, wir blockieren die guten Jobs. Dennoch: Das „erfüllte Leben“ als europäisches Ziel ist machbar. Die Work-Life-Balance hat ausgedient. Und: Passt auf die Nachbarschaft auf. Dort, hinter dem Mittelmeer.
Fotos: © Europa : DIALOG / Helga Auer Text: Thomas Winkler |