Europa: DIALOG plus mit …
Britta Hilpert (ZDF)Thomas Mayer (Der Standard)Ivo Mijnssen (Neue Zürcher Zeitung)Rainer Nowak (Die Presse)
… moderiert von Benedikt Weingartner
Zweite Runde im Journalistentalk. Vorab: Das Interesse an der EU-Wahl hat merklich zugenommen. Es ist jedoch eine merkliche Überlagerung zwischen innenpolitischen und europäischen Themen erkennbar. Speziell in der Alpenrepublik war die Stimmung aufgeladen, darüber herrscht geschlossene Einigkeit unter den geladenen Experten. Das Ibiza-Video kam sichtlich im richtigen Moment. Rendi-Wagner jedenfalls hat Talent bewiesen und ganze Arbeit geleistet, um die EU-Wahl in den Schatten des hausgemachten Desasters zu stellen. Während die Sozialdemokraten andernorts gut wegkamen, sorgten sie zuhause für ein geschichtsträchtiges Chaos. Eine Regierung so mir-nix-dir-nix zu demontieren geht als Meisterleistung durch. Gut gemacht, die Grünen lachten. Doch nicht nur in Österreich überlagerten interne Turbulenzen die EU-Wahl, auch in Italien kam es zu Auffälligkeiten im Wahlverhalten.
Lage gefährlich weil unvorhersehbar
Österreich und Italien sind für Überraschungen gut. Die aktuelle Lage ist wenig vorhersehbar und ziemlich unüberschaubar. Das Europa der gemeinsamen Probleme steht im Raum, andere Gemeinsamkeiten sind kaum vorhanden. Was die Jungen betrifft: Jobs, Perspektiven, Soziales. Und natürlich die Digitalisierung. Links-Grün-Rot-Liberal scheint der neue Trend zu sein. Egal, wer Präsident(i)n der Kommission wird, diese Themen prägen die Debatte. Und so sehr die Sozialdemokraten um Gemeinsamkeiten bemüht sind, hier kommen sie nicht gut weg. Genau genommen, sie konnten von der Krise der Freiheitlichen nicht profitieren, dafür der Schuss in das eigene Knie. Die Deutschen Brüder wiederum haben seit geraumer Zeit gravierende Probleme mit dem Establishment.
Rainer Nowak lobt Sachlichkeit
Vom Ibiza-Video abgesehen, findet „Die Presse“- Frontman Nowak lobende Worte für die Sachlichkeit im EU-Wahlkampf, der nahezu ohne gravierende Entgleiser verlief. Themen standen im Vordergrund. Ibiza-Gate jedoch hat dem Rechten Flügel einen mächtigen Dämpfer verpasst. Das war vorhersehbar. Überhaupt, Europapolitik so 1:1 auf 28 Länder zu übertragen ist nicht unbedingt einfach, umgekehrt ist verhält es sich ähnlich. Starke Drehungen sind in Osteuropa zu erkennen, anders Dänemark und Spanien: Die Sozialdemokraten jubeln im Aufwind. Rechts verblasst. Aus Schweizer Sicht ist ein Grüner Wille quer über den Kontinent erkennbar, die Metaebene ist von vergleichbaren Themen geprägt. Rumänien ist kritisch, die Korruption wird angekreidet. Sozialdemokratie sieht anders aus, ähnlich problematisch ist Polen: Interessenskonflikte und Populisten dominieren das Tagesgeschehen. Rechts- und Linkspopulisten sind vielfach nicht gar so weit entfernt voneinander. Ein Artikel 7-Verfahren ist nicht lustig, das Vertrauen ist vielerorts erschüttert.
Verschwundene Gelder da wie dort
Die rumänischen Sozialisten liefern Grabenkämpfe, die Griechen liefern Schlagzeilen mit Fördergeldern. Tabak, Schafe, Oliven – wo immer es Geld zu holen gibt, die Griechen erweisen sich als findige Abnehmer für Subventionen, doch das ist ohnehin allseits bekannt. Das Gewohnheitsrecht scheint mittlerweile recht etabliert zu sein. Wär`s anders, wir wären sprachlos. Sozialisierung bedeutet Zivilisierung gleich Mässigung. Es geht sichtlich darum, europäische Randzonen salonfähig zu machen. Orban, obwohl schlimmer Populist, scheint auf europäischer Ebene paktfähig zu sein. Er geht mit dem Mainstream. Dazu die Machtnetzwerke rumänischer Bürgermeister. Der Osten hat so seine eigenen Gesetze.
Missbrauch und dunkle Machenschaften
Die Machtkanäle nehmen seltsame Wege. Überhaupt. Betrüger haben es leicht im Osten. Mit EU-Geldern werden Werte ad absurdum geführt. Protektionismus boomt. Hier würde es Freunderlwirtschaft heissen. Zweckentfremdung und Korruption sind omnipräsent, so „Standard-Mayer“: Die Machtelite profitiert von den Umständen, manche Branchen erleben einen Boom. Vielleicht sollten wir den Verteilungsschlüssel überdenken, um irgendwo anzusetzen. Man könnte auch messbare Gegenleistungen ins Spiel bringen, selbst wenn das für Missmut sorgen könnte. Naja, die Euphorie der 90er ist mittlerweile gedämpft, Ernüchterung macht sich breit.
Europa: Die Verteilungsunion
MFR bis 27 und Brexit. Strikte Budgets. Thomas Mayer geniesst es sichtlich, den Spielverderber der Nation zu mimen: Die Förderung der osteuropäischen Länder kann nicht so weiter gehen! Korruption muss bekämpft werden. Subventionen an fremde Menschen fehlen zuhause, so die Erkenntnis der vergangenen Jahre. Der Missmut der Bevölkerung ist nicht länger zu übersehen, da ging zuletzt viel schief. In Deutschland. In Österreich. Und auch andernorts. Die Debatte ist heiss, die Zwischentöne dissonant: Rechtsstaatlichkeit hinkt den Subventionszahlungen nach, irgendwie braucht es eine Hebelwirkung, speziell in Zusammenhang mit Pflichten. So Britta Hilpert, ZDF. Applaus. Jetzt wissen die Verantwortlichen, wo`s lang geht.
MFR von Populismus bedroht
Rainer Nowak ist Realist. Von österreichischer Seite dürfen wir nicht viel erwarten, weder Beiträge noch Input. Irgendwie scheint es an Glaubwürdigkeit zu fehlen, so die aufkeimende Vermutung. Der MFR bietet reichlich Platz für Populismus, so jedenfalls geht`s nicht weiter. Es braucht Anpassungen. Gerade in der Verteilung. Die Medienvertreter wirken sehr einig in diesem Punkt. Orban hat sich verschätzt. Der Pfauentanz der abtrünnigen Rebellen ist schlichtweg daneben gegangen, tönt es aus der Schweiz. Das klingt jetzt nach Schadenfreude. Strahlende Augen in der Runde. Ja, etwas Rechtsstaatlichkeit darf man schon verlangen.
Brexit: Briten im Wechselschritt
Theresa May tritt ab. Jetzt kommt ein Hardliner. Diskussionen sind angesagt. Wollen die Briten wirklich raus? Irgendwie wäre eine klare Entscheidung angesagt, das Chaos nervt. Italien hat bereits Rügen eingefahren, das Budget entspricht den Vortstellungen der Kommission so überhaupt nicht. Und wir sollten uns endlich überlegen, was wir wollen. Mehr EU. Weniger Europa. Wenn das nur nicht gar so kompliziert wäre. Was die Finanzen betrifft ist Zoff zu erwarten. Überhaupt, die EU wirkt reichlich führungslos und geschwächt, neue Krisen sind geradezu vorprogrammiert. Und was Deutschland betrifft: Neuwahlen sind zu befürchten. Da führt kein Weg dran vorbei.
Migration: Ein Schwelbrand
Eigentlich geht`s uns geht. Auch in der Schweiz. Ägypten hat andere Probleme. Naja, die Migrationsfrage wurde auch in der Schweiz aktuell, jedoch eben sehr verhalten. Man übte sich in restriktiver Zurückhaltung, zumal man der EU sichtlich nicht betreten will. Was die Grenzen betrifft, es fehlt an Grundsolidarität, keine Einigkeit auf was Frontex betrifft. Die Finanzierung der Sicherheitsfrage ist nicht gelöst, die Positionen sind uneinheitlich und zugleich ziemlich verhärtet. Überhaupt: Die Zukunft ist offen, die Glaskugel schweigt. Die nächste Krise wird nicht auf sich warten lassen, der Krisenmodus scheint bereits Standardprogramm zu sein.
Komplexe Themen im Umweltbereich
Ein Zertifikatesystem gibt es ja bereits. Nur, es funktioniert eben nicht, zumindest nicht wie erhofft. Immerhin, das Umweltbewusstsein hat eingesetzt, speziell bei der Jugend. Und damit kommen wir kaum umhin, entsprechende Aktivitäten an den Tag zu legen. Globalisierung. Europäisierung. Digitalisierung. Es ist viel Populismus im Spiel. In 5 bis 10 Jahren braucht es ein neues Denken. Die Welt verändert sich. Europa sieht zu. Es braucht Disziplin und weniger Geschwätz, um wieder zu den wesentlichen Werten zu finden. Von unserer gelebten Europaromantik jedenfalls sollten wir uns vorerst verabschieden. Text & Fotos: Thomas Winkler |