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Franz Fischler

 

Europa : DIALOG mit …

 

Franz Fischler

 

„Europa ist für mich meine grosse Heimat. Mir geht es dabei nicht nur um Emotion, sondern auch um die Frage, was zu tun ist, um diese grosse Heimat lebenswert, erfolgreich, nachhaltig und demokratisch zu gestalten.“ (F. Fischler)

 

Franz Fischler und Benedikt Weingartner in Europa : DIALOG

 

Der 1. österreichische EU-Kommissar gilt als ausgesprochener EU-Experte. Zwei Amtsperioden hat er erfolgreich absolviert, heute ist er Präsident des Europäischen Forums Alpbach. Er ist seit 30 Jahren im Amt. Im Gespräch mit Benedikt Weingartner zieht er Bilanz über die Entwicklungen. Gibt der Herr das Amt, so Fischler, gibt er auch Verstand. Europa hat viele Veränderungen erlebt. Fundamentale Dinge sind geschehen. Europa ist gewachsen. Aber ist es auch erwachsen geworden? Franz Fischler weiss, was Sache ist. Und wo es hakt.

 

Franz Fischler, ehemaliger EU-Kommissar

 

Europa damals. Und heute.

 

1995 gab es eine riesige Wachstumsphase. Alle wollten rein. Niemand hätte die Zukunft der Union auch nur ansatzweise in Frage gestellt, es wäre absurd gewesen. Die Erweiterungen haben Veränderungen bewirkt, die Qualität ist eine Andere. Die Krise 2008 und ihre Folgen haben wir hautnah erlebt. Heute stellt sich die Frage: Wie soll es weiter gehen? Die Zustimmung zum Projekt Europa ist ähnlich wie damals, doch der Teufel steckt im Detail. Die Krise ist bewältigt, so Fischler. Jetzt geht es um eine veritable Krise. Ausgang ungewiss. Keiner sieht einen Ausweg. Viel Theorie ist erkennbar, die Szenarien sind nur sehr vage zu erkennen. Wie geht es weiter mit Europa?

 

Franz Fischler, ÖVP-Politiker

 

2019: Europa wählt!

 

Was wollen wir noch miteinander. Wollen wir überhaupt noch miteinander? Diese Themen hängen bedrohlich im Raum. Insider befürchten eine niedere Wahlbeteiligung. Die Probleme sind eklatant, der Rechtsdrall nicht zu unterschätzen. Das Szenario stimmt nachdenklich. Wollen wir wirklich alles, was wir erreicht haben, wieder aufgeben? Anfangs noch verhalten, ist heute eine klare Pro-Europa Linie zu erkennen. Doch welche Richtung wählen wir? Die Sanktionen 2000 haben Spuren hinterlassen. Die nationale Regierungskonstellation geht niemand was an, und Chirac hatte keinen Plan B. Misstrauen machte sich breit, Unstimmigkeiten waren die Folge. Heute wird strikt nach der Etikette agiert, um Misstöne bereits im Keim zu ersticken. Wenn`s schon im kleinen Land kracht, wie soll es dann auf europäischer Ebene klappen?

 

Franz Fischler, ehemaliger EU-Kommissar für Agrarpolitik. ÖVP-Politiker.

 

Annäherung als Ziel - Ergebnisse unvorstellbar

 

Die Ratspräsidentschaft wird abgearbeitet, das Pflichtprogramm bestimmt den Tag. 2000 Veranstaltungen müssen koordiniert und organisiert werden. Das Ziel ist klar definiert: Annäherung. An Lösungen. An Entscheidungen. An Ergebnisse. Mehr wird`s wohl kaum, das geht einfach nicht. Fortschritt ist machbar, doch die Sache ist komplex. Zu komplex, um schnell etwas über den Zaun zu brechen. BK Kurz setzt auf kleine Schritte. Und jeder kleine Schritt ist ein grosser Erfolg. Punktum.

 

Franz Fischler

 

Grundsatzthemen und Facetten

 

Digitalisierung. Klima. Überalterung. Energie. Soziales. Auf rein nationaler Ebene geht hier nichts, das braucht eine europäische Lösung. Ebenso Aussenpolitik. Wollen wir ernst genommen werden in der Welt, braucht es ein entschlossenes Auftreten. Gemeinsam! In einer Legislaturperiode geht das nicht. Es geht einfach darum, das Projekt Europa auf Kurs zu bringen. Es braucht Zusammenspiel und das Engagement aller gesellschaftlichen Kräfte, um zu funktionieren. Sind wir bereit, 20 bis 30% Wohlstandsverlust zu akzeptieren können wir weiterwursteln wie bisher. Wenn nicht, sollten wir etwas unternehmen, und zwar möglichst bald. Die Agenda umfasst 120 Themen, da gibt es einiges zu tun. Der Ratsvorsitz alleine kann es nicht machen, da müssen alle ran.

 

Benedikt Weingartner in Europa : DIALOG

 

Die etwas bessere Lösung

 

Mitterand und Kohl haben sich getroffen und gezofft. Der Inhalt war stets eine bessere europäische Lösung. Heute reizen die Polen und auch Orban aus, wo die Grenzen sind, fast wie pubertierende Jungs. Für Polen geht es um gekürzte Subventionen, und Orban rebelliert ohnehin, wo es geht. Schulden machen gilt nicht, es braucht Flexibilität. Will einer nicht, steht alles. Innovationsketten wären fein, so Fischler. Denn Projekte, die nur gefahren werden, weil sie gefördert werden, sind keine Lösung. Er will eine Strukturreform. Beginnen wir mal mit Bewusstseinsbildung, auf höchster Ebene, um irgendwo zu beginnen.

 

Franz Fischler war erster EU-Kommissar Österreichs.

 

MFR: Knackpunkt Schuldenpolitik

 

Einstimmigkeit zählt. Das Parlament will 1,3%, wir stehen bei 1%. Es wird geredet und gestritten, der Tanz um den Zaster hat begonnen. Einer alleine kann blockieren. Das wird eng. Soll heissen: Es braucht Bereitschaft zu verhandeln, bis weisser Rauch aufsteigt. So Fischler. In einer Demokratie ist jeder ersetzbar, doch irgendwie macht sich Hilflosigkeit bemerkbar. 5 Szenarien, die auch das berüchtigte Weiterwursteln berücksichtigen lassen erahnen, um was es geht. Juncker hat eine Version 6 aus dem Hut gezaubert. Die Kristallkugel ist kaum hilfreich. Unentschlossenheit ist eine Variante. Wer nichts wagt, kann nichts gewinnen. Themenspezifische Lösungen wären wichtig. Die Diskussion gewinnt an Dynamik, das Urgestein der Agrarpolitik reagiert gelassen. Das Tüpfchen am „i“ pulsiert. Die Basics jedoch verschwinden in der überschaubaren Unendlichkeit des europäischen Kontinents. Akademische Theorien sind denkbar ungeeignet, Bodenständigkeit zu ersetzen. Menschen brauchen Jobs mit Perspektive. Realitätsbezug wäre angebracht.

 

Franz Fischler

 

Projekt und Folgeprojekte

 

Nie wieder Krieg. Erst der Kohle-Stahl-Vertrag. Der kalte Krieg war am Kochen, Europa stand am Rande der Welt, zwischen den Amis und den Russen. Die Euro-Sklerose geht um, wir brauchen eine Aussenpolitik, sonst nimmt uns keiner wirklich ernst. Die Gemeinschaftspolitik lässt Unschärfe erkennen, so Fischler. Meint er damit die militärische Unsichtbarkeit Europas? Ein gemeinsames Heer ist utopisch, aus heutiger Sicht. Aber irgendwo müssen wir beginnen. Immerhin, ein gemeinsamer Geheimdienst wäre denkbar, zumindest theoretisch.

 

Franz Fischler, ehemals EU-Kommissar für Agrarpolitik, heute Präsident Forum Alpbach

 

Schifferl versenken …

 

Dann der Brexit. Die Briten haben einsatzbereite Flugzeugträger und ein funktionierendes Corps. Die Franzosen haben auch einen Träger, der jedoch, wenn er nicht gleich absäuft, maximal 30 Tage durchhält. Das klingt mehr nach Schlagseite denn Schlagkraft. Europa steht im Regen, wenn es um Verteidigung geht. Die Sicherheitsfrage ist wohl noch lange nicht vom Tisch. Derzeit definieren wir Europa über Kunst. Hier sind wir stark, da haben wir die Nase vorn.  Fischler lobt die Vielfalt, hier müssen wir dran bleiben. Die Digitalisierung wiederum kostet 30% der Jobs, bringt aber viele neue Bereiche. Das wann bleibt offen, allein das Bildungssystem eröffnet viele Fragen. Die Innovationskette ist blass, wir haben grad die Basics. Echte Entwicklungen: Fehlanzeige.

 

Franz Fischler und Benedikt Weingartner analysieren die Lage Europas

 

Sozialunion ohne gemeinsame Werte

 

Eine Harmonisierung im Steuerrecht wird durch die Briten blockiert. Systemfragen ja, aber die Tarife scheinen unantastbar. Das klingt nach Zoff. Dazu Migration, da geht es um mehr als nur Flüchtlinge. Das Zauberwort lautet Integration. Und da gehen die Wogen hoch. Alle wollen zu uns, doch mit dem integrieren ist es nicht so einfach, hier fehlt`s vielfach am Willen der Betroffenen. Dazu der Aufwind vom rechten Flügel. Toleranz und Solidarität stehen am Prüfstand. Demokratie bedeutet Kompromisse. Nachgeben bedeutet Schwäche. Scheitert es an der Kommunikation? Dialog ist besser als Campaigning, es braucht Dynamik. Überhaupt, Fischler erkennt ein demokratiepolitisches Problem mit dem Rat. Da kommen Kommission und Parlament kaum mit. Der Rat sagt. Der Rat entscheidet. Das war`s. Ob das im Sinne der Demokratie ist, sei dahingestellt. Das Wahlsystem steht unter Beschuss. Es braucht, und da kommen wir nicht rum, eine strukturelle Revolution. Eine einfache Reform wird nicht reichen.

Fischlers Wünsche an die Europafee betreffen uns alle: Wir brauchen uns nichts wünschen von der EU. Wir sind die EU! Auf die EU meckern gilt nicht, nennt die Dinge beim Namen: Die Kommission. Der Rat. Der Gerichtshof. Und etwas mehr Gemeinsamkeit wünscht er sich auch. Für ein starkes Europa.

Text & Fotos: Thomas Winkler